Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Des Teufels Kardinal

Des Teufels Kardinal

Titel: Des Teufels Kardinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allan Folsom
Vom Netzwerk:
Menschengestalt entwickelte, und woher kam vor allem seine zutiefst verabscheute Unfähigkeit, selbst etwas dagegen zu unternehmen? Weshalb hatte er den Heiligen Vater nicht um eine Privataudienz gebeten oder dem Kardinalskollegium heimlich eine Denkschrift geschickt, in der er gestand, was sich ereignet hatte, ankündigte, was noch passieren würde, und die Kardinäle anflehte, gemeinsam mit ihm diese Entwicklung aufzuhalten?
    Das Tragische war, daß alle Antworten ihm nur allzu vertraut waren, weil er sich schon hundertmal mit ihnen herumgeschlagen hatte: Der Heilige Vater war schon alt und so von seinem Sekretär des Auswärtigen eingenommen, daß er alle Anschuldigungen gegen ihn zurückgewiesen hätte. Und wer hatte mehr Einfluß im Kardinalskol-198
    legium als Palestrina selbst? Er genoß allgemeine Wertschätzung, hatte überall Verbündete. Schwere Vorwürfe dieser Art wären entweder als lächerlich abgetan oder empört zurückgewiesen worden, als sei ihr Urheber geistig verwirrt.
    Vollends unmöglich gemacht wurde ein Enthüllungsversuch durch Palestrinas Drohung, ihn als den Mann bloßzustellen, der Kardinal Parma wegen einer homosexuellen Liebesaffäre hatte umbringen lassen. Wie hätte Marsciano sich vor dem Papst oder den Kardinälen gegen diese Lüge verteidigen sollen? Das wäre unmöglich gewesen, weil Palestrina alle Trümpfe in der Hand hielt und sie nach Belieben ausspielen konnte.
    Noch komplizierter wurde der Fall durch die Tatsache, daß der Anstoß zu allem aus dem innersten Beraterkreis des Papstes gekommen war, als Antwort auf seine Aufforderung, Zukunftsperspektiven für die Kirche im einundzwanzigsten Jahrhundert zu entwickeln. Nachdem schon mehrere Untersuchungen und Projekte vorgelegt worden waren, hatte Palestrina seinen sorgfältig ausgearbeiteten Vorschlag präsentiert. Und als er das getan hatte, hatte Marsciano wie die anderen gelacht, weil er ihn als Scherz aufgefaßt hatte. Aber der Sekretär des Auswärtigen meinte seinen Vorschlag völlig ernst.

Zu Marscianos Entsetzen hatte nur Kardinal Parma widersprochen.
    Die anderen, Monsignore Capizzi und Kardinal Matadi, hatten ge-schwiegen. Nachträglich wußte Marsciano, daß das nicht überraschend war. Palestrina hatte ihre Persönlichkeiten offenbar sorgfältig analysiert. Parma, ein streng konservativer und kompromißloser Kirchenmann der alten Schule, hätte niemals mitgemacht. Aber Capizzi, der Oxford- und Yaleabsolvent und Generaldirektor der Vatikanbank, und Matadi, der Präfekt der Bischofskongregation, der aus einer der besten Familien Zaires stammte, waren völlig anders. Beide waren höchst ehrgeizige Politiker, die ihre hohen Stellungen nicht zufällig erreicht hatten. Und da sie recht gut wußten, daß Palestrina dieses Amt nicht selbst anstrebte, hatten beide den Papstthron im Visier, stets in dem Bewußtsein, daß es in Palestrinas Macht lag, einen von ihnen auf diesen Thron zu setzen.
    Marsciano war jedoch ein ganz anderer Fall: ein Mann, der sein hohes Amt erreicht hatte, weil er nicht nur intelligent und entschie-199
    den unpolitisch, sondern in seinem Herzen ein einfacher Priester geblieben war, der an Gott und seine Kirche glaubte. Er war wahr-haftig ein Mann Gottes, ein Ahnungsloser, der nicht glauben konnte, daß es in der Kirche einen Mann wie Palestrina geben könnte, was es um so leichter machte, ihn mit Hilfe seines Glaubens zu manipulie-ren.
    Plötzlich schlug Marsciano mit der Faust auf den Schreibtisch und verfluchte sich wegen seiner Schwäche und Naivität, sogar wegen seiner Frömmigkeit, die ihn sein Priesterleben lang begleitet hatte.
    Wären dieser Zorn und diese Selbsterkenntnis früher gekommen, hätte er vielleicht noch etwas unternehmen können, aber dafür war es jetzt viel zu spät. Der Heilige Vater war Wachs in Palestrinas Händen, und Kardinal Parma, der ihm als einziger widersprochen hatte, war zum Schweigen gebracht worden. Capizzi und Matadi hatten sich dem Willen Palestrinas gebeugt und folgten ihm wie Marsciano selbst, der hilflos im Geflecht seiner Charaktereigenschaften gefangen war. So hatte Palestrina die Zügel ergriffen und eine schreckliche Entwicklung in Gang gesetzt, die sich nicht mehr aufhalten ließ, weil er sie nicht aufhalten wollte. Sie alle konnten nur noch auf die Gluthitze des chinesischen Sommers warten.

    200
    50
    Peking, Hotel Gloria Plaza.
    Sonntag, 12. Juli, 10.30 Uhr
    Der sechsundvierzigjährige Li Wen trat im achten Stock aus dem Aufzug, ging den Korridor

Weitere Kostenlose Bücher