Des Teufels Maskerade
müssen zu Professor Novak!«, rief er laut aus, alle Vorsichtsmaßnahmen vergessend.
Ich setzte ihn auf dem Boden ab. »Wieso?«
»Weil«, verkündete Lysander mit nahezu triumphaler Miene, »ich mich schon sehr täuschen müsste, wenn da drinnen nicht ein Toter läge!«
»Baron, wirklich, das geht nicht. Ich bin Ihnen weiß Gott schon genug entgegengekommen, als ich heute Vormittag Ihren Adlatus in unser Archiv gelassen habe.« Polizeirat Novak faltete die Hände über seinem feisten Bauch und sah recht
bekümmert auf mich herab. »Aber das ist eine polizeiliche Untersuchung, da haben Sie nichts mehr verloren.«
Vergebens versuchte ich, meiner Ungeduld Herr zu werden, denn wir hatten schon so viel Zeit vertan: Eine kostbare Stunde beinahe hatte es in Anspruch genommen, bis Novak seinen Trupp zusammengerufen und in Bewegung gesetzt hatte, nachdem wir ihm von dem grausigen Fund berichtet hatten; nun, standen wir erneut vor der Lagerhalle und warteten darauf, dass es dem Polizeisergeanten endlich gelänge, das Schloss aufzubrechen.
»Geben Sie mir wenigstens ein paar Minuten«, beschwor ich ihn. »Wenn Sie mir doch glauben würden – es geht um Leben und Tod!«
Professor Novak wiegte bedächtig den Kopf und spähte zu seinen Untergebenen hinüber, die endlich das Schloss bezwungen und das Tor einen Spaltbreit geöffnet hatten. Mit gezückten Waffen wagten sich zwei von ihnen in die Halle vor. Ein paar Schaulustige, die sich mittlerweile eingefunden hatten, beäugten aus sicherer Entfernung die Geschehnisse.
Dann trat einer der Polizeibeamten heran, um Novak Mitteilung zu erstatten: Die Halle sei menschenleer, sah man von der Leiche eines jungen Mannes ab.
Unruhig scharrte Lysander mit den Krallen auf dem Pflaster. Wie mich drängte es auch ihn danach, einen Blick auf den geheimnisvollen Toten zu werfen. Novak seufzte, strich sich die Rockschöße glatt. »Also schön, Baron. Wem mache ich noch was vor? Gehen Sie hinein, ich gebe Ihnen eine Viertelstunde.«
Der Körper lag nahe bei dem Fenster, durch das Lysander vor gut zwei Stunden gespäht hatte, auf dem staubigen Boden. Ich näherte mich vorsichtig und ging neben ihm in die Hocke.
Obgleich meine Augen sich noch nicht an das fahle Zwielicht, das da in der Halle herrschte, gewöhnt hatten, erkannte ich dennoch die Gesichtszüge wieder: der kleine blonde Schnurrbart unter einer zu lang geratenen Nase; die weichen, beinahe kindlichen Wangen; das akkurat gestutzte Haar; blutverschmiert und entstellt … eine Kugel schien ihm die Kehle zerrissen und den Kiefer zertrümmert zu haben. Ich wandte den Blick, kämpfte einen jähen Würgereiz nieder.
»Leo Vlcek?«, flüsterte Lysander, und ich nickte. Leo Vlcek, ein sonderbarer Träumer, ein fehlgeleiteter Idealist, ein selbst ernannter Revolutionär – und am Ende doch nur ein Junge, den wir nicht hatten retten können. Einerlei.
Mir war, als stünde ich neben mir und blickte herab auf einen kaltblütigen Fremden, als ich mit präzisen Bewegungen das blutbesudelte Jackett des Jungen aufzuknöpfen begann. Das war nicht ich, das musste ein anderer sein, der jede Tasche durchsuchte, ein Briefkuvert fand und an sich nahm, sich umständlich wieder aufrichtete, den Staub von seinen Knien klopfte!
»Gehen wir«, sagte der Fremde zu Lysander, und wir folgten ihm.
Moritz,
ich habe einen Fehler begangen, einen furchtbaren Fehler. Dass ich dafür büßen werde, daran zweifle ich nicht. Vielleicht werde ich tot sein, wenn Du diese Zeilen liest: Einen tapferen Mann, einen Kameraden hat er heute erschlagen, weil dieser sich weigerte, die grausige Bluttat zu begehen. Er, das ist jener, der sich Ctirad nennt, der die Bruderschaft des Fuchses führt. Ein böser Dämon ist er, kein Mensch, und er wird mich töten, so wie alle, die sich seinen Befehlen nicht beugen. Ich wünschte, ich könnte Dir erklären, wie sich eines ins andere fügt, wie es kam, dass ich um der Zukunft unseres Landes willen, Teil dieser grässlichen Bruderschaft wurde. Aber die Zeit wird nicht ausreichen, und ich zweifle, dass wir einander jemals wiedersehen werden.
Unter all den Menschen bist Du es, mein kleiner Bruder, dem ich am meisten auf der Welt vertraue. Deshalb: Nimm diesen Brief und gehe unverzüglich zum Polizeipräsidium. Lass sie wissen, dass ein gewisser Graf von Trubic sich in tödlicher Gefahr befindet. Übermorgen Nacht schon soll die Untat geschehen. Warne ihn. Bring sie zur Strecke. Räche mich.
Leo
AUS
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