Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
»Genau, Anna, genau dieses Lied war es! Du kennst es ja auch – scheint ein bekanntes Lied zu sein. Nun, das hat sie gesungen, immer wieder … Geht es dir gut, Anna? Soll ich weitererzählen, oder magst du nicht mehr?«
»Doch, doch, erzähl. Ich musste nur gerade an meine Schwester denken. Erzähl weiter.«
Elisabeth fuhr fort: »Felicitas war mitunter ganz wahnsinnig vor Kummer und Herzeleid. Das machte auch mich traurig. Ich mochte sie sehr gern, und deshalb hörte ich mir immer wieder ihre Geschichten von ihrem Liebsten an. Sie erzählte den ganzen Abend von ihm. Davon, wie sehr er darunter litt, dass seine Familie von einer Räuberbande gemeuchelt worden war. Davon, wie viele Bücher er schon gelesen hatte und wie viele mächtige Leute er kannte. Davon, wie sehr er es liebte, wenn man ihn schweigend ansah und ihm einfach nur lauschte. Und davon, wie sehr er es hasste, wenn man sich über ihn lustig machte. Sie erzählte und erzählte.
Im vierten Jahr hatte sich nicht viel verändert. Aber als sie im fünften Jahr zurückkehrten, war Felicitas überglücklich. sie würde ihn bald wiedersehen, er habe ihr eine Nachricht zukommen lassen und wolle wieder zu der Theatergruppe sto ßen.
Wenig später zogen sie fort.
Im sechsten Jahr kehrten sie nicht zurück.
Im siebten Jahr kamen neue Schausteller zu uns, bei ihnen war eine Frau namens Anneke. Ich kannte sie, sie war die Wahrsagerin aus Felicitas’ Theatergespann. Anneke erzählte, was geschehen war: Felicitas war tot, verbrannt in ihrem Wagen. Und nicht nur sie, alle anderen Wagen hatten auch gebrannt. Niemand hatte es überlebt. Sie waren im Schlaf überrascht worden. Anneke war im nahen Dorf gewesen, um dort einige Frauen zu besuchen, denen sie heimlich, ohne Wissen ihrer Männer, aus der Hand hatte lesen sollen. Als sie zum Lager der Schausteller zurückkehren wollte, war er ihr auf dem Feldweg begegnet. Er lief eilig an ihr vorüber und hatte Felicitas’ Kind im Arm. Es war der Mann gewesen, den Felicitas so liebte. Er hatte nicht auf Annekes Rufen reagiert, und erst, als sie zu dem Platz kam, an dem ihre Wagen standen, sah sie es: Alles brannte, und jede Rettung kam zu spät.
Anneke war fest davon überzeugt, dass er das Feuer gelegt hatte. Es hatte einen Vorfall gegeben zwischen ihm und der Gruppe. Er hatte auftreten wollen, hatte ein Stück geschrieben, das jedoch niemandem gefiel. Alle hatten lachen müssen, als er es ihnen vorspielte, und dann war er wutschnaubend davongeeilt. Felicitas hatte ihn verzweifelt, aber vergeblich gesucht. Und als er zurückkam, kam er heimlich, legte ein Feuer und tötete damit auch die Frau, die ihn so unsterblich liebte.«
Als Elisabeth Knopf ihre Erzählung beendete, hatte Anna Tränen in den Augen. Die ganze Geschichte ging ihr unglaublich nahe, sie erinnerte sie an so vieles: an ihre Schwester Mine, die ebendieses Lied von dem blauen Blümlein so geliebt hatte, an Therese, welche sich so rührend um ihr todkrankes Kind gekümmert hatte, an Liese, die trotz ihrer schroffen Natur mehr Herz und Seele besessen hatte als die meisten anderen Menschen, und sie erinnerte sich an den schrecklichen Feuertod dieser beiden unschuldigen Frauen. Nicht zuletzt tat Anna dieser kranke, kleine Pippin leid. Er war so unschuldig und musste doch so leiden. Was war wohl aus diesem armen Kind geworden?
Langsam begann der Schnee zu schmelzen, der Wald begann zu grünen, die Vögel zu zwitschern, und die Tage wurden endlich länger. Annas Schulter war wieder ganz genesen, Hans Mergels Beinstumpf hatte sich wunderschön geschlossen, und auf Balthasars Oberlippe bildete sich ein erster Flaum. Der Frühling war da und brachte die Wärme und das Kribbeln in alle Glieder zurück. Man musste weiterziehen, ob man wollte oder nicht, denn auch das viele Geld war längst zur Neige gegangen.
Mitte März ging es weiter. Der Abschied fiel schwer, und auch den beiden Gastgebern konnte man anmerken, dass sie ihre drei Schützlinge und deren Hund ins Herz geschlossen hatten. Doch letztendlich konnte man sie nicht umsonst durchfüttern, und außerdem hatten auch diese ein Ziel vor Augen, welches sie schon allzu lange aufgeschoben hatten.
Also ging es auf in Richtung Heidelberg.
XIX
Es war ein großer Unterschied, im eisigen Winter oder unter angenehmen Frühlingstemperaturen zu reisen, und so legte die Gruppe, mit ausreichend Proviant ausgestattet und halbwegs genesen, am Tag bis zu sieben Meilen zurück.
Sie zogen an Frankfurt vorüber, welches
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