Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
zu betreten Mergel sich strikt weigerte, ohne einen Grund dafür nennen zu wollen. Sie füllten ihre Taschen und Mägen, so gut es ging, in Darmstadt auf und verirrten sich dann im dichten Odenwald. Schließlich erreichten sie, mehr als ein halbes Jahr nach dem Aufbruch aus Westfalen, die Stadt Heidelberg. Dort sollte der Junge Balthasar seine Familie wiederfinden.
Dieser war wenige Meilen vor seinem Geburtsort seltsam verstummt, er gab nicht einen Ton mehr von sich. Und eines Nachts hatte er sogar den Versuch unternommen, heimlich, zusammen mit dem Hund, das Weite zu suchen. Anna war jedoch aufgewacht und hatte ihn umstimmen können. Er war geblieben, doch sprechen wollte er weiterhin nicht.
Das brachte die beiden Begleiter des Knaben jedoch nicht davon ab, ihren Auftrag zu erfüllen und ihren schützling in die Arme seiner geliebten Mutter zurückzuführen. Allein, dies wollte nicht so ganz gelingen, denn bei der Suche nach seiner Familie zeigte sich Balthasar außerordentlich störrisch, kurz: Er schwieg weiter.
Anna konnte sich derweil an der Schönheit und dem Reichtum dieser prächtigen Residenzstadt ergötzen. Hoch oben über dem Neckar thronte – zwar beschädigt, aber noch immer majestätisch – das imposante schloss und warf seinen Schatten auf eine Stadt, in der, trotz Belagerung, Morden, Brandschatzung und zahlreicher Durchzüge, weiterhin das Leben blühte. Zwar war der gesamte Hof um den Kurfürsten Friedrich V. – besser bekannt als der Winterkönig – entflohen und befand sich im niederländischen Exil. Dennoch versuchten die überlebenden und vor Ort gebliebenen Bürger die Geschäfte wieder anzukurbeln. Schwierig war es nur für diejenigen – und das stellte Mergel mit dem kummervollen Blick des Wissenden fest -, deren Gewerbe allein vom Hof abhängig gewesen war.
»Und das sind viele in solchen Städten. Unter anderem natürlich auch die Blumenhändler. Wer will schon Blumen, wenn er Brot braucht? Entweder hat sich der Vater des Jungen was Neues überlegt und bäckt nun Kuchen aus Rosen und Nelken, oder er hat schon längst das Weite gesucht.«
Mit dieser Vermutung sollte Mergel Recht behalten. Balthasars Familie war nicht mehr in Heidelberg. Ob sie hatten fliehen können oder allesamt gestorben waren, darüber erhielten Anna und Hans Mergel unterschiedliche Informationen. Letztendlich beschlossen sie nach zwei Wochen vergeblicher Suche, die Stadt zu verlassen und den Jungen mit nach Bayern zu nehmen.
Balthasar war erleichtert. Er hatte sich ohnehin keinerlei Hoffnungen gemacht. Viel lieber wäre es ihm gewesen, man hätte ihm diese schmerzhafte Rückkehr in die Heimatstadt ganz erspart. Und auch Mergel ärgerte sich lauthals über Annas Sturkopf.
»Wäre es nach mir gegangen, hätten wir uns den ganzen Umweg gespart«, schimpfte er, während er seine persönliche Habe in einen Lederbeutel packte. »Soll ich dir mal auf der Karte zeigen, was wir alles zum reinen Vergnügen, ohne Sinn und Verstand, ganz für die Katz, kurz: was wir alles umsonst gelaufen sind? Schau mal, Anna«, und er griff nach der Landkarte, die er immer in seiner Nähe aufbewahrte. »Quer von Ost nach West, fast einmal gerade durch, durchs ganze Land, für nix und wieder nix. Und dem Jungen hast du damit auch keinen Gefallen getan. Im Gegenteil, verstummt ist er wieder. Aber wer hört schon auf einen alten Schwätzer? Liese nicht, und du auch nicht, Anna.«
»Gut, dass du immer alles besser weißt, Hans. Wenn wir dich nicht hätten, wären wir verloren.« Anna kam sich langsam tatsächlich vor wie Liese Kroll.
Der Alte wuchs ihr immer mehr ans Herz, und sie nahm es ihm nicht übel, wenn er böse auf sie war. Sie wussten mittlerweile beide, dass sie sich aufeinander verlassen konnten, ganz gleich, was geschah. Und Balthasar würde nun bei ihnen bleiben. Trotz der Tragik seiner Geschichte war Anna erleichtert, dass sie ihn mit nach Bayern nahmen, denn auch ihn hatte sie fest in ihr Herz geschlossen.
Sie folgten dem Neckar, kamen durch Wimpfen und Heilbronn, und je weiter sie in den Süden vordrangen, desto unberührter vom Krieg waren die Dörfer.
Hatte der Krieg den Süden bislang weitgehend gemieden, so galt dies nicht für die Tücken der Natur. In den letzten Jahren hatte es ständig Missernten gegeben, und so litten die Menschen auch hier unter Hunger.
Proviant gab es erst wieder in Hall, von wo aus es dann weiter in Richtung Ellwangen ging, einer von lauter protestantischen städten umgebenen katholischen
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