Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
durchgeschnitten. Und als hätten sie’s gewusst, dass die sich vor Hunden graust, haben sie ihr noch einen Köter ans Bein gebunden. Das muss ein schlimmer Anblick für den Pfarrer gewesen sein, wo der doch so leicht aus der Fassung zu bringen ist. Der kann ja nicht einmal mitansehen, wenn man vor seinen Augen eine Fliege totschlägt.«
»Ja, da muss er sich wohl daran gewöhnen. Keiner von uns ist bisher ungeschoren geblieben, und das wird so weitergehen. Man kann ja froh sein, wenn sie einem nur das Haus anzünden und die Viecher mitnehmen. Und wie viele liederliche Weiber schon durchgebrannt sind mit diesem Gesindel, da könnte ich dir auch noch was erzählen …«
Weiter verfolgte Anna das Gespräch nicht. Fast den Honigtopf und ihre restlichen Decken vergessend, machte sie kehrt und eilte auf und davon, ohne sich von dem Imker zu verabschieden.
Blind vor Schreck fand sie sich bald vor dem Gramshuber-Hof wieder, wo sie in die stube trat und wie ein nasser Mehlsack auf einen Holzschemel fiel.
»Was ist los mit dir, Anna?« Hans Mergel befürchtete, sie sei wieder einmal belästigt worden.
»Er ist wieder da!«
»Von wem sprichst du? Von dem Zwerg Bartel etwa? Den haben wir doch gefunden, da bin ich mir ganz sicher.«
»Nein, von dem Mörder. Von dem mit der Sanduhr.«
»Wie kommst du denn darauf, Anna?«
»Ich habe in Herrsching gehört, wie zwei Frauen darüber gesprochen haben. Alles war so wie bei ihm: erhängt, durchtrennte Kehle, und auch ein Hündchen war wieder dabei.«
»Bist du dir sicher?« Auch Mergel schien unruhig zu werden.
»Ganz sicher. Ich habe mir ohnehin schon in der letzten Zeit Sorgen gemacht. Habe nie mit dir darüber gesprochen, weil du mir sowieso nicht glaubst. Aber ich weiß, dass wir hier nicht allein sind.«
»Wir sind hier nie allein, Anna.«
»Nein, ich meine nicht die Landsknechte und Marodeure. Ich meine diesen Schatten, den auch die Gramshuber gesehen hat. Er ist hier, und zwar schon eine ganze Weile. Das spüre ich. Und er war auch auf unserem Weg lange Zeit dabei. Er war es, der die Wegelagerer vor unserer Herbergstüre erstochen hat, und er war es, der dein Bein abgeschnitten hat, er hat uns den Hund dagelassen und den Bartel beseitigt. Ja, und die neun Krabaten, die hat er auch umgebracht. Und jetzt fängt er wieder mit den Frauen an. Ich bin mir ganz sicher, Hans, und ich lasse es mir von dir auch nicht mehr ausreden.«
Mergel schwieg und starrte an die mittlerweile wieder vollkommen verdreckte Wand.
»Wir können nichts machen, Anna«, sagte er nach einer ganzen Weile. »Wir können nur aufpassen, dass dir nichts passiert.«
»Ich glaube nicht, dass mir etwas passieren wird, Hans. Das ist ja das seltsame. Irgendwie habe ich das Gefühl, er beschützt mich.«
»Er beschützt dich?«
»Ja. Und ich weiß nicht, warum.«
Wieder verfiel der alte Mergel in minutenlanges Schweigen.
»Das sind ja jetzt auch zum ersten Mal wieder Wallensteinsche Truppen, die hier am Ammersee quartieren«, sagte er nach einer Weile. »Ganz unwahrscheinlich wäre es nicht, wenn da auch der eine oder andere aus unserem alten Regiment dabei ist.«
»Also glaubst du auch, dass es wieder derselbe ist?«
»Wie gesagt, unwahrscheinlich ist es nicht. Aber, du meinst ja, er habe dich schon die ganze Zeit verfolgt. schon auf unserem Weg hierher.«
»Ja, das glaube ich.«
»Ach, Anna, was hilft das spekulieren? Wir können eh nichts daran ändern. Können lediglich Acht geben und die Augen offen halten.«
Anna nickte nur.
Es ist so weit. War nicht zu verhindern. Es musste weitergehen. So ist der Lauf der Dinge. So war es, und So wird es sein.
Die Frau hat Angst. Muss sich fürchten, die Frau. Hat allen Grund dazu. Es wird nicht mehr lange dauern. Das steht fest und lässt sich nicht ändern.
Man wird berichten müssen. Jetzt, wo er ganz in der Nähe ist, wird man berichten müssen. Man kann nicht anders, muss es tun, muss helfen, so wie er geholfen hat. Muss ihm berichten.
Man will doch nicht allein sein. Kann doch nicht allein sein. Wäre am liebsten bei der Mama geblieben. Aber das ging ja nicht.
Man wird gehen und berichten – bald. Man wird selbst entscheiden, wann der richtige Zeitpunkt ist. Noch darf sie ein wenig leben, die Frau.
Ende des Jahres, kurz nach dem Weihnachtsfest, zogen Aldringen und seine Truppen langsam ab. Zusammen mit den feindlichen Schweden ging es an den Bodensee, sodass die gepeinigten Menschen im bayerischen Seenland etwas aufatmen konnten, zumindest
Weitere Kostenlose Bücher