Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
Mergel skeptisch und erlaubte es Anna lediglich – sich als Hausherr aufspielend -, dass sich die beiden Familien im Stall einquartierten und das Wohnhaus nicht zu betreten hätten. Akribisch wachte er über die Einhaltung dieser Quarantäne.
Zwei Wochen lang geschah nichts, nicht einmal die Anzahl der Flöhe nahm zu, sodass Anna die Strenge des Alten bald zu ignorieren begann und ein manches Mal die beiden Mütter mit ihren Säuglingen in der Küche sitzen ließ, von wo aus der Hinterlader betrieben wurde und dem Raum eine angenehme Wärme spendete. Dann aber, im November, fing es an. Man war sich nicht sicher, ob die Flüchtlinge oder Plünderer die Krankheit eingeschleppt hatten, aber mit einem Mal starben gleich sieben Dorfbewohner innerhalb weniger Tage an dem, was man später als ungarisches Fieber erkannte.
Noch in derselben Woche, in der es die ersten Toten zu beklagen gab – unter anderem auch die Fischerin, welche die drei damals über die Geschichte der Gramshubers aufgeklärt hatte -, wurden mit Gewalt alle Flüchtlinge, welche sich im Dorfe herumtrieben, fortgejagt. Anna gelang es nicht, wenigstens die kleinen Kinder vor dem Verbleib in eisigem Regen und frostigem Wind zu bewahren.
Dann, an einem Sonntagnachmittag, begann sich auch Leni Gramshuber plötzlich schrecklich zu schütteln, obwohl sie vor dem warmen Ofen saß. Ihre schmalen Lippen verfärbten sich dunkelblau, und sie klapperte entsetzlich laut mit den ihr noch verbliebenen Zähnen. Anna war gerade wieder hereingekommen, um sie mit mehreren wollenen Decken einzuhüllen, als die Alte ungeheuerlich zu schwitzen begann. Aus dem schüttelfrost hatte sich binnen Minuten ein hohes Fieber entwickelt, welches die ohnehin schon trockene Frau so weit austrocknete, dass ihr Durst nicht zu stillen war. Ganze drei Krüge Wasser schluckte sie unter großen Schmerzen herunter und jammerte dabei selbst bei der leichtesten Berührung ihres Körpers. Nicht einmal hinlegen konnte sie sich.
Anna blieb die ganze Nacht bei ihr und musste am nächsten Morgen feststellen, dass sich an den Füßen der Bäuerin riesige Geschwülste ausgebreitet hatten. salben und feuchte Wickel halfen nichts.
Leni überlebte den Tag nicht. Am frühen Abend hauchte sie mit einem entsetzlich dunklen Stöhnen ihr Leben aus.
Hans Mergel, Anna und Balthasar standen nun allein da. Ohne ihre Herrin und ohne deren Sohn hatten sie als Gesinde keine Berechtigung mehr, in dem Haus zu bleiben. Die Grundherren mussten benachrichtigt und die Erben ausfindig gemacht werden. Und wer wusste schon, was dann mit ihnen dreien geschehen würde?
»Es darf einfach niemand wissen, dass die Bäuerin tot ist.« Hans Mergel sprach aus, was auch Anna dachte. »Sie saß ohnehin nur in der Stube und hat sich draußen nicht blicken lassen. Das wird gar keiner merken, dass es die nicht mehr gibt.«
»Und wenn es dann doch jemand bemerkt, dann werden wir für ihre Mörder gehalten und bestraft.« Anna hatte trotz allem Bedenken.
»In solchen Zeiten gibt es so viele andere mögliche Mörder. Nein, uns wird man so schnell nicht beschuldigen. Außerdem, wer sollte die schon vermissen?«
Und so kam es, dass sie die alte Gramshuberin auf dem Hof direkt neben dem leeren Kaninchenstall beerdigten. Als sie das Loch für sie buddelten, stießen sie jedoch auf etwas, mit dem sie nicht gerechnet hätten. Zuerst dachten die drei, es handele sich um die Überreste eines der neun verstorbenen Reiter, welche ebenfalls im Gramshuber-Garten ruhten. Dann aber, bei näherem Hinsehen, erkannten alle, dass das der Bartel sein musste.
Anna, Mergel und Balthasar sahen sich nur stumm an, legten dann die Mutter zum Sohne und schütteten das Grab wortlos zu.
Nun waren die drei Fremden allein in diesem großen bayerischen Bauernhaus und mussten sich, als sie von dem Tod des schwedenkönigs in der schlacht von Lützen erfuhren, langsam darauf vorbereiten, dass der Krieg bald ein Ende haben würde und sie den noch lebenden Dorfbewohnern erklären mussten, wo denn die Gramshuber Leni abgeblieben war. Denn wenn erst einmal wieder Ruhe eingekehrt war, würden auch die Toten gezählt werden.
Die Gramshuberin wurde vorerst jedoch nicht vermisst, und auch die Trauer ihrer drei Gesindekräfte hielt sich in Grenzen. Vor allem für Anna bot sich durch das Ableben der Alten nun endlich die Gelegenheit, den Brief des Neffen Andreas Moosberger, den Leni noch immer unter ihrem ungewaschenen Rock getragen hatte, wieder an sich zu nehmen.
Anna
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