Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
Verschlag war ihr Reich, sein Haus war sein Reich.
Manchmal jedoch musste Anna über ihn lachen. Er hatte sich schnell erholt, sah wieder gut aus – wenn auch anders als früher -, doch Anna gefiel er sogar besser. In der einfachen Bauerntracht wirkte er nicht mehr so verkleidet, wie das in den edlen Stoffen der Fall gewesen war. Nun erschien er ihr vollkommen natürlich. So sprach er auch: vollkommen natürlich, gerade so, wie es ihm in den sinn kam.
Und genau darüber musste Anna immer wieder lachen. Sei es, dass er sich mit dem Hammer auf den Daumen schlug und eine schimpftirade Richtung Himmel schickte, von der Anna nur einen Bruchteil verstand. Sei es, dass ihm eines der Kaninchen davonlief und er im Zickzackkurs über den gesamten Hof raste, sich nicht zu schade war, einen Sturzflug in den Misthaufen zu machen und dabei dem fliehenden Tier die urigsten Namen zu geben, ohne es jedoch tatsächlich einzufangen. Das war schließlich der schmunzelnden Anna – in aller Ruhe – gelungen.
Häufig musste sie sich eingestehen, doch froh zu sein, dass er bei ihr war, aber unangenehm war ihr seine Nähe dennoch. Und das besonders in solchen Situationen, in denen sie tatsächlich nah beieinander sein mussten. Immer dann, wenn wieder bewaffnete strolche ihr Haus durchstöberten und sie sich in dem Kellerloch im Stall verstecken mussten, immer dann, wenn sie Schulter an Schulter dasaßen, abwartend, was oben vor sich ging, immer dann wurde es Anna sehr unwohl in ihrer Haut.
An einem Nachmittag im Mai machten gemeine Straßendiebe, welche nicht einmal einem Heer angehörten, die Gegend unsicher und suchten auch auf dem Gramshuber-Hof vergeblich nach dem vermeintlich gut verborgenen Vieh. Anna, die neben Moosberger im engen Versteck saß, musste plötzlich husten. Ein trockener Reiz kratzte unaufhörlich in ihrem Hals, wieder einmal hervorgerufen durch die unangenehme Nähe dieses Mannes.
Doch bevor sie den Hustenreiz nicht mehr länger zurückhalten konnte, legte sich seine Hand fest auf ihren Mund. Über ihnen waren schritte zu hören, die Diebe liefen direkt über die Luke, den Eingang zu ihrem Versteck.
Zwei Minuten verstrichen – seine Hand war noch immer auf ihren Mund gepresst -, dann hörten sie, wie die Haustür zugeschlagen wurde. Sie waren weg. Doch Moosbergers Hand blieb, wo wie war. Sie blieb, wanderte dann aber langsam über Annas Wange zu ihrem Nacken. Dort wurde sein Griff fester, und er zog ihren Kopf nach vorn, um sie zu küssen.
Zunächst wollte sie sich wehren, aber dann beschloss Anna, sich der Situation hinzugeben. Wie oft hatte sie sich genau das vorgestellt. Nicht an einem solchen Ort, nicht in einer solchen Situation – aber das war nun egal. Zunächst ließ sie sich nur küssen, dann begann sie, seinen Kuss zu erwidern. Und das ließ ihn plötzlich forscher werden. Es war nicht viel Platz in dem engen Raum, in dem man kaum zu dritt und mehr schlecht als recht zu zweit hocken konnte, aber dennoch gelang es ihm, sich und auch Anna spielerisch von ihren Kleidern zu befreien. Es war kalt, aber auch das war Anna egal. sie vergaß all ihre scheu und machte einfach das, was sie wollte – was sie in diesem Moment am meisten wollte. Und so geschah es, dass Anna hier in diesem Kellerloch etwas erlebte, was sie noch nie zuvor in der Art hatte erleben dürfen.
Ein wenig verlegen war sie schon, als sie schließlich aus ihrem Erdloch krochen, und auch Andreas Moosberger lächelte nur schüchtern. Beide wurden sie dann vollkommen rot, als sie in die Stube gingen und dort Hans Mergel trafen, der sie mit den Worten begrüßte:
»Grüß Gott. Ah, der junge Herr ist es. Wollte nicht stören, bin schon eine kleine Weile hier. War lange fort. Habe ein paar alte Bekannte getroffen und sie ein Stück begleitet. Dann hat mich doch das Heimweh gepackt. Nun bin ich also da, hab mich einfach reingeschlichen, als die Strolche weg waren. Und nun würde ich gerne fragen, ob ich wieder auf dem Hof wohnen darf. Es sei denn, ich bin unwillkommen.« Und dann räusperte er sich verschmitzt.
XXX
Für den, der die Liebe zweier Menschen von außen betrachtet, ist diese umso unbegreiflicher, je leidenschaftlicher und inniger sie ist, und wirkt mitunter sogar albern. Das Verständnis für die nahezu rücksichtslose Selbstlosigkeit der Liebenden hält sich für den nüchternen Dritten deshalb häufig in Grenzen.
Dieser Dritte war Hans Mergel. Er, der – weit entfernt von Neid und Eifersucht – die nun offen zu Tage
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