Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
getragene Liebschaft zwischen Anna und Andreas Moosberger tagtäglich vor Augen hatte, konnte sich dennoch einer gewissen Missstimmung nicht erwehren.
Hatten sie denn beide ihr Hirn auf der Strecke gelassen? Konnten sie an nichts anderes mehr denken als an sich? Waren sie kleine Kinder, die es für selbstverständlich hielten, dass ein jeder, der sie sah, sich mit ihnen freuen musste? Und ihr sinn für die Umstände, für die Zeit und den Raum, in welche ihre Liebe eingebettet war, dieser Sinn schien ihnen vollkommen abhandengekommen zu sein. Sie kümmerten sich um nichts. Nicht darum, dass ihr Haus innerhalb einer Woche allein dreimal geplündert worden war – zunächst von Schweden, dann von Bayerischen und schließlich von einer Räuberbande; nicht darum, dass ihnen Freibeuter auf dem Weg nach Herrsching ihren Handkarren und mit ihm einen Großteil ihrer wertvollen Tauschwaren gestohlen hatten. Und sie kümmerten sich auch nicht darum, dass neben der Missernte in diesem Sommer auch die Pest ein weiteres Mal Einzug in die Gegend hielt.
Das Einzige, worum sich Anna und Moosberger kümmerten, war, zu welcher Tages- oder Nachtzeit auch immer, ein stilles Örtchen zu finden, an welchem sie ungestört den Bedürfnissen ihrer tiefen Zuneigung nachgehen konnten. »Wie die Karnickel«, so dachte sich Mergel – der in dieser Hinsicht bereits keinerlei Ambitionen mehr verspürte – und versuchte dennoch Verständnis für das junge Volk aufzubringen. »In der Not konzentriert man sich auf das Elementare«, murmelte er dann vor sich hin und erfreute sich heimlich daran, der übrigen Welt wenigstens in philosophischer Hinsicht überlegen zu sein. »Doch mich fragt ja niemand.«
Tatsächlich vernachlässigten Anna und Andreas den Alten ein wenig. In den ersten zwei Tagen nach ihrem kleinen stelldichein im Kellerversteck waren sie sich noch aus dem Weg gegangen. Anna hatte kaum gewagt, den Kopf zu heben, wenn er den Raum betrat, und auch Andreas hatte immerzu nur verlegen vor sich hingelächelt. Am dritten Tag jedoch, als sie allein in der Stube saßen, weil Mergel mit den beiden Ziegen zum Weiden gegangen war, fing Andreas plötzlich schallend an zu lachen. Zunächst glaubte Anna, er mache sich nachträglich über sie lustig, und schaute ihn böse an, aber dann musste auch sie schmunzeln. Von diesem Tag an kehrte wieder Frieden in die kleine Hausgemeinschaft ein.
Für Anna war diese Liebe die Erfüllung eines großen Traumes, sie genoss den Augenblick und versuchte nicht darüber nachzudenken, wie lange dieser Mann es wohl bei ihr aushalten würde.
Auch Andreas Moosberger verschwendete keinen Gedanken daran, wie es mit ihm und Anna Pippel weitergehen sollte. Sie gefiel ihm, und sie hatte ihm schon immer gefallen. In ihr schlummerte mehr, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte. Und vor allem jetzt, wo sie nicht mehr so scheu und unsicher war, mehr lächelte und sich nicht schämte, zu tun und zu lassen, was ihr gerade in den Sinn kam – jetzt erst konnte man sehen, wie schön sie eigentlich war. Ihre Haut war von der Sonne leicht gebräunt, ihre Haare trug sie meist zu einem einzigen Zopf geflochten, und besonders reizend fand er es, wenn sich einzelne Strähnen lösten und ihr ins Gesicht fielen. Überhaupt war ihr Gesicht nun völlig verändert, wieder voller, mit roten Wangen und strahlenden, großen Augen. Und am schönsten war es, wenn sie lachte und dabei ihre Zähne zeigte.
Sie war wirklich schön. Und allmählich, so hatte er den Eindruck, wusste sie auch um ihre Schönheit. Er fühlte sich wohl bei dieser Frau – so wohl, wie er sich noch nie bei einer Frau gefühlt hatte, und deshalb ließ auch er die Zeit verstreichen, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, was die Zukunft bringen würde. Wer wusste das schon in einer Zeit, in der Ruhe und Ordnung Zustände waren, an die sich nur noch die Alten erinnern konnten.
Es war Juli, als die Pest zum zweiten Mal im Seenland ausbrach. Wer sie eingeschleppt hatte und wen sie dahinraffte – auch das wollte kaum noch jemand wissen.
Das Leben in der Dorfgemeinschaft war längst zusammengebrochen, in den zerstörten oder verfallenen Häusern lebten nur noch wenige Menschen, und die meisten von ihnen waren Fremde, Flüchtlinge aus den Städten oder Stellungslose Soldaten mit ihren Weibern und Kindern.
Eine Kirche gab es nicht mehr, Messen hatte man längst aufgehört zu lesen, in der Dorfschenke tummelte sich nur noch Gesindel, und der Dorfbrunnen kam als
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