Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
das schreckens-szenario in Augenschein zu nehmen. Liese blieb da, sie hatte Wichtigeres zu tun. Es galt, die neuen Waren zu sortieren und alles für die Abfahrt vorzubereiten. Man musste schließlich das Heer einholen.
»Wenn ihr bis Mittag nicht zurück seid, fahre ich alleine«, schrie sie den Aufbrechenden hinterher.
Der Anblick, welcher sich den dreien in der Kirche bot, hinterließ bei allen einen unbeschreiblich grausamen Eindruck, wurde doch das freistehende Kreuz hinter dem Altar als Galgen missbraucht. Ein Sakrileg, welches für sich genommen einem gläubig erzogenen Menschen wie Anna, ganz unabhängig von der grausigen Todesart der armen Frau, das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Am Fuß der Toten war wieder einmal ein Hündchen angebunden, ein noch ganz frisches kleines Köterchen, welches nicht einmal die Augen öffnen konnte. Es war noch so jung, dass es nur kaum hörbare Piepslaute von sich gab und hilflos nach Wärme suchte, die ihm die Blutlache, in der es herumtappste, nicht mehr liefern konnte, da schon alles erkaltet und geronnen war.
»Ich kenn die nicht«, meinte Adele, nachdem sie die Leiche abgeschnitten und ins Tageslicht gezerrt hatten.
»Nun, ich auch nicht, aber so, wie die aussieht, würde selbst ihre Mutter sie nicht gleich wiedererkennen«, meinte Mergel und klang dabei abgeklärter, als er tatsächlich war.
Es handelte sich bei der Frau – und das konnten die drei nicht wissen, weil sie ihnen tatsächlich niemals begegnet war – um Eva sehlmann, eine junge Frau von neunzehn Jahren, entführt aus einem hessischen Dorf und mit einem Lebenslauf, wie ihn so viele Frauen in diesem Krieg vorwiesen. Ihre Entführung durch einen kaiserlichen soldaten war nicht unfreiwillig vonstattengegangen. Man hatte längere Zeit Quartier im Haus ihrer Eltern genommen, und dabei hatte sich die Tochter Hals über Kopf in den hübschen Jüngling verliebt, der dort mit sechs seiner Kameraden untergekommen war. Gegen den Willen der Eltern, ehrbare Bauersleute, ließ sich die Tochter mit ihm ein, und es kam zu einer »Maienehe«. so nannte man in diesem Krieg die äußerst kurzlebigen Verbindungen zwischen einem bis dato unschuldigen Bauernmädel und einem nicht mehr ganz so unschuldigen Landsknecht.
Und obwohl ihre Ehe im Herbst geschlossen wurde, so dauerte Evas Zusammensein mit ihrem Herzallerliebsten auch nicht länger als einen Monat, denn dann machte er sich mit einer anderen auf und davon. Eva wurde schwanger zurückgelassen, traute sich nicht mehr heim, blieb im Tross des Heeres, verdingte sich, weil sie tiefer nicht mehr fallen konnte, gelegentlich als leichtes Mädchen und verlor dazu noch ihr Kindelein, nicht einmal einjährig, durch ein schreckliches Fieber.
Und nun war sie, noch nicht genug vom Leben gestraft, ein Opfer dieses Ungeheuers geworden.
Hans Mergel schnitt die Unglückliche von ihrem Galgen ab, während Anna und Adele sie aufzufangen versuchten. sie glitt unsanft in die ausgestreckten Arme der beiden Frauen, und dabei kullerte etwas zu Boden: eine sanduhr, die aus ihrem Mieder gefallen war.
Bereits an Annas erstem Abend im Tross hatte Hans Mergel am Lagerfeuer danach gefragt, ob Mine eine sanduhr dabeigehabt hatte, und Anna hatte diese Frage bejaht. Nun fand sich auch bei dieser Toten eine solche. Anna konnte sich nicht erklären, was das zu bedeuten hatte.
Sie begruben die ihnen Unbekannte gleich vor Ort auf dem Friedhof, und das Hündchen, welches in der Zwischenzeit auch sein zartes Leben ausgehaucht hatte, verfrachtete Mergel auf den nächstgelegenen Misthaufen. Besser gesagt, mit Rücksicht auf die Kreatur, in den Misthaufen, denn er machte sich immerhin die Mühe, ein kleines Loch zu buddeln.
Annas Gedanken kreisten derweil die ganze Zeit um ihre gestrige Begegnung mit der eigentümlichen Gestalt, die fluchtartig die Kirche verlassen hatte. Sie dankte Gott, dass sie verschont worden war. Und gleichzeitig, obwohl sie von klein auf wusste, dass die Wege des Herrn unergründlich waren und es sich nicht schickte, nach dem Warum und Weshalb zu fragen, war sie sich sicher, dass es einen Grund gab, weshalb sie verschont worden war. Doch was dies für ein Grund war, das konnte sie sich nicht erklären.
Wieso kam sie immer davon? Wer half ihr? War es tatsächlich der Allmächtige?
Sich ihrer hochmütigen Gedanken schämend, bekreuzigte sich Anna und hörte damit den ganzen Weg über, bis hin zu Lieses gepacktem Planwagen, nicht auf.
»Na, und da war also wieder ein
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