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Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)

Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)

Titel: Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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Hündchen?«, fragte Liese, die sich noch immer weigerte, den Tatsachen ins Gesicht zu blicken, und weiter bemüht war, der grausigen Wahrheit zum Trotz, einen Schutzmantel aus durchaus möglichen Erklärungen aufzubauen.
    »Den macht einer nach. Da will uns einer ärgern. Ein Bauernmädchen, das sie zu Tode geschändet haben, und dann haben sie sich, weil sie eh schon hinüber war, diesen Scherz erlaubt, um alle nachfolgenden Trossleute zu schockieren.«
    »Das war eine aus dem Tross«, erklärte Adele trocken. »So sind keine Bäuerinnen angezogen, die ist von uns. Hab sie zwar noch nie gesehen, aber das war auf keinen Fall’ne Bäuerin, wohl eher’ne Käufliche.«
    »Ja, da hat Adele wohl Recht«, stimmte Mergel zu.
    Anna hingegen schwieg. Zum einen, weil sie zu dem Gespräch nichts beisteuern konnte, da sie auch nach einigen Wochen im Tross noch immer keinen Blick für die verschiedenen Sorten von Frauenzimmern hatte, die es hier gab. Zum anderen, weil Lieses Frage nach dem Hündchen sie auf einen Gedanken gebracht hatte, der ihr bisher noch nicht gekommen war.
    Das winzige Hündlein, welches sich bei der Toten befunden hatte, war auf keinen Fall derselbe Hund, den der furchtbare Schatten unterm Arm aus der Kirche davongetragen hatte. Denn der gestrige Hund hatte es ja immerhin geschafft, mit seinem Wimmern den gesamten Kirchenraum zu füllen, während das kleine Geschöpf, welches sie heute vorgefunden hatten, selbst im guten Zustand zu solch kräftigen Lauten nicht in der Lage gewesen wäre. Es war nicht derselbe Hund.
    Anna ertappte sich wieder bei dieser für sie vollkommen neuen Tätigkeit des Kombinierens. Es war ihr selbst unheimlich, und sie fühlte sich nicht wohl dabei, dass sie sich derartig viele Gedanken machte. Es war nicht recht, sich über Dinge den Kopf zu zerbrechen, die allein in den Händen Gottes lagen. Nur er wusste, was dort vor sich ging, und seiner Gnade war es anbefohlen, dem Ganzen Einhalt zu gebieten. Immerhin konnte es sich um eine strafe handeln, eine Prüfung, die ihnen allen auferlegt wurde. Es galt zu warten, zu erdulden und zu beten, und deshalb war es auch gleich, ob sie glaubte, gestern einen anderen Hund wahrgenommen zu haben. Denn sie, die einfache Anna Pippel, konnte sich täuschen, der Herrgott jedoch nicht. Sie schob, so schnell es ging, jede Form von Gedanken von sich, die durch sündhafte Neugierde und den noch sündhafteren Wunsch nach Aufklärung dieser Vorgänge hervorgerufen wurden.
    Verschiedene Beweggründe führten beide Frauen, sowohl Liese als auch Anna, zu demselben Ergebnis: nämlich dem, das Vorgefallene zu vergessen und weiter dem üblichen Tagesge-schäft nachzugehen. Erwuchs diese Einsicht bei Anna aus dem Glauben an die Unverrückbarkeit des gottgewollten Schicksals, so waren Lieses Gründe profanerer Natur, indem sie sich der einfachen Glaubensformel unterwarf: Es gab nichts, was es nicht geben durfte. Und vor allem – und so ließ sich dieser satz in ihrem Sinne erweitern – durfte es nichts geben, was sie in ihrem Leben beeinträchtigen könnte. Handeln war in jeglicher Hinsicht die Devise der Marketenderin Liese Kroll; sowohl das Handeln im ökonomischen, als auch das im alltäglichen Sinne. Gab es ein Problem, dann wurde es ohne zu zaudern angegangen und aus der Welt geschafft – solange Liese die Kontrolle besaß. Und eine resolute Frau wie sie besaß selbst in den auswegslosesten Situationen immer die Kontrolle.
    Diese situation jedoch, diese Morde, die – und das wusste sie – vermehrt in ihrem Umfeld geschahen, beherrschte sie nicht. All das war unerklärlich, gefährlich und nicht mit den ihr eigenen Mitteln zu beheben. Also versuchte sie es zu ignorieren.
    Am frühen Nachmittag machte sich die Gruppe, die aus fünf Trosswagen und etwa fünfundzwanzig Menschen bestand, auf den Weg, das Heer einzuholen, welches sich in Richtung Lipper Land begeben hatte. Es war nicht schwierig, die Fährte aufzunehmen, denn ein Heer mit immer noch mehreren Tausend Soldaten und einem Anhang, der diese Zahl dreimal übertraf, hinterließ eindeutige Spuren. So wie von einem überfüllten Heuwagen auf seinem Weg in die Scheune immer wieder Bündel zu Boden fallen, so trafen auch Anna und ihre Mitreisenden immer wieder auf Zurückgebliebene und Zurückgebliebenes. Da waren Deserteure, die sich entschlossen hatten, nach Italien zu ziehen, denn es hieß, der Kaiser benötige dort in einem Erbfolgekrieg gegen die Franzosen Verstärkung; da waren Trossleute, die

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