Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
sich auf den Weg machten, ihr Glück woanders zu versuchen; und da waren natürlich auch die eindeutigen Hinterlassenschaften eines Solchen Durchmarsches: Dort, wo es die Natur erlaubte, waren die Wege gewaltsam verbreitert worden, und an ihren Rändern häuften sich Unrat und Müll, Felder waren zertrampelt, Obstbäume geplündert, und hier und da lag der stinkende Kadaver eines geschlachteten oder anderweitig verendeten Tieres. Mitunter fand man sogar menschliche Verstorbene, die auf die Schnelle verscharrt und des Nachts von Wölfen oder streunenden Hunden wieder ans Tageslicht befördert und entsprechend verunstaltet worden waren.
Alles in allem dauerte es nicht lang, bis die Gruppe wieder Anschluss an ihren Mutterwurm gefunden hatte und sich nahtlos einreihte in dieses mittlerweile geschrumpfte, aber nach wie vor monströse und den Menschen der Umgebung nichts als Unglück bringende Gebilde.
Gemeinsam zog man nun wieder umher und vermied, auf Anweisung der obersten Regimentsführer, die Städte, deren Bürgerschaften kein weiteres hungriges Heer mehr ertragen wollten und sich stattdessen von einem Besuch des Lindwurms freikauften. Die Dörfer im Raum Lippe und Bielefeld jedoch standen der Plage hilflos gegenüber, und so kam es schließlich auch dazu, dass Liese und ihr Gefolge in den folgenden Nächten schnell genug waren, sich einen Schlafplatz in einem kurzfristig von seinen Bewohnern verlassenen Bauernhaus zu sichern.
Endlich lag Anna wieder in einem Bett. Zwar war es nicht bequem und die Unterkunft an sich auch nicht sehr viel komfortabler als ihre eigene frühere Kate, doch immerhin hatte sie wieder ein Dach über dem Kopf. Als es sich die vier – Liese, Mergel, Therese und Anna – am Abend an dem schlichten, aber großen Holztisch bequem gemacht hatten und gemeinsam aus einem Topf eine von Anna bereitete Linsensuppe schlürften, klopfte es an der Dielentür.
Wie bei einer kleinen Familie, die Besuch erwartete, machte sich der Hausherr Mergel mit einer Laterne in der Hand auf den Weg durch den nicht besonders großen und dazu leeren Stall hin zur Vordertür, um den nächtlichen Gast in Augenschein zu nehmen.
»Einen gesegneten guten Abend wünsche ich. Sagt mir, wenn ich mich in Errore befinde, doch Ihr müsst der Mergel sein, Hans mit Taufnamen.«
»Ja, das stimmt, Herr Pastor Bracht. Johann Heinrich, um genau zu sein. Auch Euch einen schönen Abend. Was verschafft uns die Ehre?«
»Ach, du liebe Neune, was will der denn hier?«, flüsterte Liese den beiden anderen Frauen zu, als die drei vernommen hatten, um wen es sich bei dem Besucher handelte. Dann stand sie auf und begrüßte überschwänglich und mit zuckersüßer Stimme den Pastor Bracht, der gerade damit begonnen hatte, den Grund seines Erscheinens in einen übergroßen Mantel von Worten zu kleiden. Von Lieses freundlichem Herannahen unterbrochen, ging er auf die neue Hausherrin zu und begrüßte sie.
»Nun, Liese Kroll, wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen? Es müssen mehr als zwei Jahre vergangen sein. Wann war es noch genau? Ach ja, als wir konversierten wegen des rätselhaften Todesfalles der Sophie Thürauf. Ja, das war die Occasion.
Wie herrlich habitabilis Ihr es Euch gemacht habt, in diesem bescheidenen, von seinen Seelen zurückgelassenen Heim. Ich will es nicht wagen, diese traute Stimmung länger zu pertubieren. Möchte mich nur nach Eurem Wohlbefinden erkundigen, denn unlängst durfte ich die Bekanntschaft Eurer neuen Begleiterin, Anna Pippel, machen. Und erst da, das muss ich be-schämt confessieren, fiel mir ein, wie lange es her ist, dass wir zuletzt einander sprachen. Dabei seid Ihr keine Unbekannte, Liese Kroll, und das meine ich im durchweg positiven Sinne. Ihr seid eine Institution, und deshalb möchte ich Euch und auch Eure Begleiter um eine Auskunft, nein besser, um einen Rat, ein Consilium, bitten. Es ist gut, dass wir hier in einer solch diskreten Kongregation zusammenkommen können, denn die Angelegenheit, um die es geht, ist doch durchaus pikant.«
Erst jetzt machte der Pastor eine Atempause, die Liese erlaubte, das Wort zu ergreifen. Mit einem nicht mehr zucker-süßen, sondern nur noch süßlichen Lächeln bat sie den Pastor in die »Stube« und bot ihm einen Becher Wein aus ihrem Vorrat an durchaus edlen Tropfen an. Dieser sagte nicht Nein und nahm neben der erröteten und schweigenden Anna auf der Bank Platz.
»Wie Ihr nur immer all Eure Schäfchen findet, Herr Pastor, inmitten einer solch riesigen
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