Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
hinsichtlich Eurer Person zu diffundieren begonnen hat. Ich kann nicht mehr für Eure Sicherheit garantieren. Wenn Ihr einfach das Weite sucht und Euch dann nach wenigen Tagen eines Besseren besinnt, hierher revertiert und meint, Ihr würdet mit offenen Armen empfangen, dann befindet Ihr Euch im Irrtum. Es wurde viel über Euch geredet, und mit Eurer Ästimation und Reputation ist es nicht zum Besten gestellt.«
»Und dazu werdet Ihr das Eurige beigetragen haben, hochgelehrter Herr«, antwortete Liese auf die Predigt des Pastors Bracht, nachdem er am zweiten Tag ihrer Rückkehr den Wagen der Lumpenliese aufgesucht hatte, um sie, sichtlich erzürnt, über die Lage im Tross zu unterrichten.
»Nur im Guten, nur im Guten. Man sagt, Ihr seiet ohne das Kindelein zurückgekehrt, und man munkelt, non sine causa, verschiedenartig darüber, wo das Neugeborene wohl verblieben sei. Welcher Art die Gerüchte sind, die aus diesen Munkeleien erwachsen, das wage ich nicht zu notifizieren. Grausame Geschichten sind es, und keine davon lässt Euch, gute Liese, in einem guten Lichte erstrahlen. Seid vorsichtig, zumal sich in der Zeit Eures Fortseins kein Mord ereignet hat. sollte dem in den nächsten Tagen nicht mehr so sein, sollte wieder eine unschuldige Anima eines grausigen Todes sterben müssen, dann seid Ihr nicht weiter in salvo.«
»Ihr wiederholt Euch, Ehrwürdiger. Nur eines möchte ich gerne von Euch wissen: Was habt Ihr, Ihr ganz persönlich, gegen mich, dass Ihr hier im ganzen Lager schlecht Wetter gegen mich macht? Habe ich Euch jemals etwas getan?«
»Das ist reine Imagination. Welcher Teufel reitet Euch, dass Ihr so etwas behauptet? Ihr wisst ganz genau, dass ich es war, der immer und immer wieder zu Euch kam, um lediglich darüber zu referieren, dass den Leuten aufgefallen ist, dass es einige seltsame Kohärentien zwischen Euch und den Vorkommnissen gibt. Ich bin nichts weiter als ein Berichterstatter, als ein Ratgeber und Zuhörer. Niemals würde es mir in den sinn kommen, Partei zu ergreifen, weder für die eine noch für die andere seite.«
»Dass Ihr weder für die eine noch für die andere Seite Partei ergreift, ist hinlänglich bekannt. Ich jedoch bin kein Mensch, der sich aalglatt mal hierhin und dann dorthin windet. Ich habe meine Grundsätze, und wenn die anderen nicht passen, dann sollen sie mich einfach in Ruhe lassen. Und einer dieser Grundsätze ist, dass ich mir von abergläubischem Geschwätz nicht mein Geschäft vermiesen lasse.«
»Ihr seid unverbesserlich, Liese Kroll. Nun, was soll ich tun? Beleidigen lassen muss ich mich jedoch von Euch nicht. Ich werde weiterhin versuchen, die Menschen davon zu überzeugen, dass sie Euch Unrecht tun, das ist meine Religio, selbst wenn Ihr es mir nicht glauben wollt und mir, als Eurem einzigen Helfer, Unehrlichkeit, ja Perfidia unterstellt.«
Damit ging der Pastor, und Liese wurde das Gefühl nicht los, dass dieser Mann sie tatsächlich schützen wollte. Er war es hingegen aber auch, der all diese Gerüchte schürte und aus den Menschen herauskitzelte, um sie dann, sobald sie ausgesprochen waren, wieder zu dämpfen. Er legte ein Feuer, das er eilig selbst zu löschen versuchte, um es dann wieder zu entfachen, und immer so weiter. Liese erkannte dies, doch den Grund für dieses Handeln, den konnte sie sich beim besten Willen noch immer nicht erklären.
Obwohl es stets kälter wurde und der Oktober bald dem noch frostigeren November Platz machte, war Anna in gewisser Hinsicht froh, wieder im Tross aufgenommen worden zu sein. Sosehr sie sich auch nach Wärme, Ruhe und vor allem nach trockener Kleidung sehnte, so sehr genoss sie auch den Schutz, den sie hier, inmitten der vielen Menschen, zu verspüren glaubte. Ein Schutz, der nicht daher rührte, dass alle es gut mit ihr meinten, sondern vielmehr die Art von Sicherheit, die ein kleiner Fisch inmitten eines riesigen Schwarms erfuhr: Die Wahrscheinlichkeit, dass gerade er gefressen wurde, war sehr gering.
Nachdem sich die Gruppe wieder einigermaßen zurechtgefunden und ihre alte Position in Nachbarschaft des Hufschmiedes Vinsebeck und der Näherin Schmeichel eingenommen hatte, machte Anna sich an ihr gewohntes Trosstagwerk. Das Wetter erlaubte es am vierten Tag ihrer Ankunft, Wäsche zu waschen, und das war bitter notwendig. Zwar hatte Anna, seit Liese ihren Ruf und damit auch ihre Kontakte verloren hatte, keine fremden Waschaufträge mehr erhalten. Doch die eigenen Kleider mussten endlich auch einmal richtig
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