Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
Zeit gehandelt hätte. Doch von peinlichem Zufall konnte bei dieser Zusammenkunft keine Rede sein. Das konnte Anna zwar nicht hören – man betrug sich sehr leise -, aber dennoch am Wackeln des nicht gerade stabilen Holzkabinchens sehen.
Möglicherweise, so dachte sie sich, war es bei Liese ähnlich, und nicht alles in dieser soeben gehörten Geschichte war erstunken und erlogen. Doch was von alledem könnte stimmen? Anna wollte gar nicht weiter darüber nachdenken, denn sowohl Lieses Vergangenheit als käufliche Liebschaft in Lübeck als auch der angebliche Pakt mit dem Teufel waren Informationen, die Anna sehr zuwider waren.
Mit der Ausrede, die Wäsche über dem Lagerfeuer trocknen zu müssen, verabschiedete sie sich von den Frauen und ging in einem dichten Nebel wildester Gedanken und widerlichster Fantasien zu ihrem Lager zurück.
Und als ob sie den Kopf nicht schon voll genug gehabt hätte, kam es auf dem Rückweg ins Lager auch noch zu einer Begegnung, die Anna für den Rest des Tages vollkommen au ßer Gefecht setzte und sie für niemanden mehr ansprechbar machte.
Nachdenklich, wie sie war, wurde sie beim Überqueren der Lagerstraße beinahe von einer Kohorte Reiter über den Haufen geritten.
»Aus dem Weg!«, hatte der Erste noch gerufen und Anna mit dem Fuß zur Seite gestoßen, sodass sie samt ihrer frisch gewaschenen Wäsche in den Matsch fiel. sie hatte Sich noch nicht ganz aufgerichtet und verdutzt den an ihr vorbeiziehenden edlen Rössern mit ihren adrett gekleideten Reitern nachgeschaut, als eines der Pferde plötzlich hielt und Anna beim Aufschauen in ein ihr nur zu vertrautes Gesicht blickte.
Mehr als ein keckes Augenzwinkern und ein kurzes »Auf bald« erhielt sie nicht von dem blonden Edelmann, der, als Anna wieder halbwegs zu sich kam, bereits weiter seines Weges ritt.
Anna wusste nicht, wie sie sich sammeln sollte. Sie war vollkommen allein mit einem unüberblickbaren Haufen an Gefühlen, Sorgen und Eindrücken, und sie sah keine Möglichkeit, mit irgendjemandem darüber zu reden. Von Kindheit an war sie es gewohnt, Dinge für sich zu behalten, Sorgen in sich hineinzufressen und Sünden dem Pfarrer zu beichten oder darüber zu schweigen. Doch in der letzten Zeit konnte sie nicht mehr zu dieser alten Gewohnheit zurückfinden. Die Ereignisse der letzten Monate waren so verwirrend für sie, dass das Fass, in dem Anna bereits ein Leben lang ihren heimlichen Kummer aufbewahrte, langsam überzulaufen drohte.
Tief bekümmert und Böses ahnend, saß sie am Feuer und wartete darauf, dass der Kessel mit Wasser, in dem sie die wieder schmutzige Wäsche auskochen wollte, zu dampfen anfing.
»Was ist denn mit dir los?«, fragte Liese und setzte sich mit Flickarbeiten ebenfalls an das Feuer.
»Nichts, fühl mich nur ein wenig unwohl. Vielleicht eine Erkältung, mehr nicht.«
»Na gut. Siehst aber eher aus, als sei dir der Leibhaftige begegnet.«
Erschrocken blickte Anna ihre Begleiterin an. Jetzt sprach sie tatsächlich vom Teufel. Musste das sein?
»Mir ist der Teufel noch nie begegnet«, sagte Anna schnippisch.
»Ist ja mal ein ganz neuer Ton von dir. Darf man noch nicht einmal eine Redensart von sich geben? Will mal überhören, was du da vielleicht gemeint haben könntest. Und an deine Begegnung in der Kirche erinnerst du dich wohl gar nicht mehr? Wer hat denn da herausposaunt, den satan gesehen zu haben?«
Liese war sichtlich gekränkt und auch betrübt. Ohne Worte widmete sie sich fortan dem Stopfen ihrer strümpfe.
Anna starrte weiterhin auf den Kessel. Es war ihr unangenehm, diese Frau, über die sie soeben derartig schlimme Dinge erfahren hatte, in ihrer Nähe zu wissen. Ja, sie verabscheute Liese ganz plötzlich – und das nicht, weil sie den Erzählungen über sie glaubte, sondern allein wegen der Tatsache, dass es solche Erzählungen über sie gab.
Irgendetwas wird sie schon dazu beigesteuert haben, dachte sie bei sich und vertiefte sich in ihre düsteren Gedanken, in denen immer wieder das Gesicht dieses blonden Reiters auftauchte, dessen Namen sie nicht kannte, dessen Erscheinung ihr aber in bleibender Erinnerung war.
An diesem Abend verkroch Anna sich früh in ihrem Unterschlupf, der lediglich aus einem auf dünnen Holzstäben errichteten Leinenzelt bestand, das weder Nässe noch Frost von ihr fernhalten konnte. Sie wickelte sich in eine löchrige Wolldecke ein, so gut es ging, und legte ein stinkendes und verlaustes Schafsfell über sich. Ansonsten halfen gegen die Kälte
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