Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
noch ausgediente Truppenteile hinzu, die, ohne Uniform und nicht selten mit krimineller Absicht, die Gassen unsicher machten. Solange sie brauchbare Waren auf den Märkten anboten und das erstandene Geld in den Kneipen und heimlichen Freudenhäusern der stadt wieder ausgaben, waren sie willkommen. Doch das zerlumpte Volk, welches nun vor allem im Spätherbst und frühen Winter Einzug hielt, war einem jeden ordentlichen Bürger ein Dorn im Auge. Dieses Los traf auch Anna, Mergel und den jungen Balthasar.
»Es wird schwierig werden, eine Unterkunft zu finden. In den Armenhäusern ist sicher nichts mehr frei, außerdem holt man sich da nicht nur Flöhe, sondern noch wer weiß was für ein elendes Zeug.« Hans Mergel schien sich auszukennen. »Hier in diesem katholischen Nest gibt es sicherlich auch noch Laienbrüder und -schwestern, die Fremde in ihren Häusern aufnehmen. Aber auch daran glaube ich bei dem Andrang nicht mehr. Denke, dass wir was berappen müssen, um in irgendeiner spelunke unterzukommen. Eine andere Möglichkeit sehe ich nicht. Es sei denn, wir schlafen auf der straße. Ich würde sagen, wir versuchen erst einmal, an Geld zu kommen. Dumm nur, dass ich nicht einmal meine Fiedel mitnehmen durfte. Aber so bös, wie die hier dreinschauen, gibt keiner auch nur einen Heller aus für ein bisschen Unterhaltung.«
»Hier gibt es auch schon reichlich Musikanten«, bemerkte Anna und machte sich Sorgen, ob sie überhaupt jemals an Geld oder neue Nahrungsmittel kommen würden.
»Ich könnte Schuhe flicken, und du könntest Wäsche stopfen. Nur: Solche, die das können, gibt es hier auch mehr als genug. Zudem bräuchten wir sicherlich eine Genehmigung, wenn wir ein Gewerbe ausüben wollen. So ist das immer, man darf in der Stadt nicht einfach tun und lassen, was man will. Wenn ich noch gut auf den Beinen wäre, könnte ich mich als Zimmermann durchschlagen, wir könnten bei der Zunft anklopfen, bekämen ein Bett und ein warmes Süppchen, und ich würde einige Tage lang beim Häuserbauen aushelfen. Doch leider kann ich nicht mehr auf Dächer steigen, beim besten Willen nicht«, sprach Hans Mergel und war dabei ganz froh, eine Ausrede gefunden zu haben, nicht bei einem Meister seines alten Handwerks vorsprechen zu müssen.
Innerlich schwebten ihm schon längst andere Möglichkeiten der Geldbeschaffung vor, doch er wusste noch nicht, wie er es Anna beibringen sollte. Deshalb erging er sich in mehreren weiteren Arbeitsbeschaffungsvorschlägen, die er nach und nach alle selbst wieder verwarf. Man könne Kinder auf dem Esel reiten lassen, Balthasar könne sich als Laufbursche anbieten, Anna könne in einer schenke als Bedienung aushelfen, Mergel könne auf dem Markt Geschichten erzählen. Nein, das ging alles nicht. Man musste noch heute an Geld kommen, und da gab es nur eine Möglichkeit, darüber war sich Hans Mergel im Klaren. Vorsichtig begann er, bei Anna vorzufühlen.
»Weißt du, Anna, ich kenne dich ja jetzt mittlerweile ganz gut. Da gibt es schon die zehn Gebote, an die man sich halten sollte, aber immerhin kann man ja auch wieder beichten, wenn man etwas Böses getan hat, und so etwas wie Mundraub in einer Notsituation ist nun wirklich nicht verwerflich. Was sagst du?«
»Ach, Hans, wenn du denkst, dass ich ein schlechtes Gewissen habe, wenn ich Leuten etwas wegnehme, dann hast du dich getäuscht. Wir haben doch in den letzten Wochen so viel gestohlen, da würde es auch nichts machen, wenn man hier einer reichen Bürgersfrau einen Apfel aus dem Korb nimmt.«
»Ich glaube nicht, dass hier reiche Bürgersfrauen mit Apfelkörben herumlaufen. Aber Geld, das haben sie dabei. Und an das müssen wir irgendwie herankommen.«
»Ich habe nur Angst, erwischt zu werden. Vielleicht wäre es doch gar keine so schlechte Idee, wenn ich in einer Taverne nachfrage, ob sie eine Küchenhilfe brauchen.«
»Das hilft uns nichts, Anna. Würden wir hier wochenlang bleiben, dann könntest du das versuchen. Aber wir wollen ja nur unseren Proviant auffüllen, und das möglichst schnell. Da kannst du nicht warten, bis der Wirt dich am Ende der Woche oder gar des Monats ausbezahlt.«
»Ich helfe euch.« Es waren die ersten Worte, die Balthasar sprach, seitdem die drei das Lager verlassen hatten.
»Du?«
»Ja, ich kann helfen. Soll ich es dir zeigen?«
»Dann zeig mal.«
»Hast du ein Messer bei dir?«
»Ein Messer? Nein, das lass mal, Junge, so etwas machen wir nicht.« Hans Mergel wurde streng.
»Ich tue nichts Böses. Gib
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