Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
nein, umbringen müssen sie mich dazu. Niemandem habe ich etwas zuleide getan. Dreckspack!«
»Du lebst doch noch. Reg dich mal nicht so auf«, rief Mergel, der noch immer auf dem Wagen saß.
»Was seid ihr für Zigeuner? Was macht ihr hier? Denkt wohl, dass ich euch dankbar bin und auch noch Futter in den Arsch stecke.«
»In den Arsch sollst du es nicht gerade stecken. Ins Maul, das wäre schon besser.«
»Wie soll ich euch was geben, wenn ich nichts mehr habe? Lasst mich in Frieden und verschwindet. Geht dahin, wo ihr hergekommen seid, ihr verfluchtes Gesindel. Nichts als Ärger bringt ihr, gehört doch auch zu diesem vermaledeiten Kriegspack. sehe ich euch doch an.«
»Wir hätten nur gerne eine Schlafstatt für eine Nacht. Zu essen haben wir noch selbst. Lediglich ein Dach überm Kopf, das wäre gut.« Anna versuchte, den Müller zu beschwichtigen.
»Einen Teufel werde ich tun, einen Teufel«, schrie der Müller nur.
»Na, dann halt wieder ab in den Sack«, rief Mergel. Und als sei es zwischen ihnen abgesprochen gewesen, zückte im selben Moment der schweigsame Balthasar aus seinem Rock eine riesige Pistole und richtete diese auf den Undankbaren.
Anna erschrak, aber noch mehr erschrak der Müller und beeilte sich, das Weite zu suchen. Hans Mergel fiel fast vom Wagen vor Lachen, Balthasar steckte seine Waffe, woher immer er sie hatte, wieder ein, und Anna schüttelte nur den Kopf.
Die drei verbrachten eine solch ruhige und endlich auch einigermaßen warme Nacht, dass sie, nachdem der Müller nicht mehr aufgetaucht war, beschlossen, eine weitere Nacht in der Mühle zu bleiben. Besonders Hans Mergel tat es gut. Es tat ihm offenbar so gut, dass Anna ihn am Mittag des zweiten Tages dabei beobachtete, wie er heimlich und ganz allein die steile Au ßenstiege der Mühle hinabkletterte.
Wenn er das konnte, dann würde es wohl nicht mehr allzu schlimm mit seinem Bein sein, dachte sie, den sich unbeobachtet fühlenden Mergel im Auge behaltend.
Unten angekommen, hinkte er eine Weile vor der Mühle hin und her, bevor er sich bückte und nach einem herumliegenden Holzstück griff. Dann schleppte er sich langsam und mühselig zu einer krummen Bank, die unweit der Mühle stand. Er krempelte seine Hosen hoch und pulte mit schmerzverzerrtem Gesicht in seinen Wunden herum.
Anna konnte sich beim besten Willen nicht erklären, was dieser seltsame Vorgang zu bedeuten hatte. Schließlich bestrich er das stück Holz, welches er soeben aufgeklaubt hatte, mit dem, was er aus seiner Wunde gekratzt hatte. Es wird nichts anderes als Blut und Eiter sein, dachte Anna.
Dann erhob er sich, nahm sein Messer aus dem Gürtel und begann an einem unweit der Bank stehenden Kirschbaum herumzuschaben. Als er ein ordentliches Loch in den Ast gebohrt hatte, steckte er das eitrige und blutige Holz hinein und hinkte, sein Werk noch kurz begutachtend, wieder zurück zur Mühle. Dort erblickte er Anna und winkte ihr zu.
»Was hast du da gemacht, Hans?«
»Nichts Besonderes. Will nur ganz sichergehen. Hast du alles gesehen?«
»Ja, habe ich, und ich glaube, dass das ein Hexenspuk ist, den du da treibst. Du solltest das lassen.«
»Unsinn. Ist ein altes Heilverfahren. Wenn das Holzstück mit dem Baum verwächst, dann heilen auch die Wunden, aus denen ich das Blut genommen habe.«
»Wenn Liese das gesehen hätte, hätte sie dir ordentlich den Kopf gewaschen.«
»Liese kennt das selbst, die kennt alle Methoden, mit denen man Wunder vollbringen kann. Nur glauben tut sie nicht dran. Verkauft ihr Wissen, aber selbst glaubt sie nicht daran.«
Mergel sprach noch immer in der Gegenwartsform von Liese. Wahrscheinlich würde sich das nie ändern, und Anna sah aus Mitleid davon ab, ihn darauf hinzuweisen, dass es Liese nicht mehr gab.
»Wir werden gar nicht so lange hierbleiben, dass du noch sehen könntest, ob das Holz mit dem Stamm verwächst.«
»Macht doch nix, wenigstens habe ich alles unternommen. Und was ist da schon für ein Unterschied zwischen meinem heidnischen spuk und deinen urigen Sprüchen über verdrehte Beine und Adern? Allein doch nur, dass du vorgibst, dem Jesuskind sei das passiert. Weiß man doch gar nicht. Ist nicht bewiesen. Steht nicht in der Bibel.«
Anna schaute ihn streng an. Schon seitdem sie unterwegs waren, war ihr aufgefallen, dass Mergel seine alten Gewohnheiten, in jedem Satz mindestens einmal den Herrn Jesus Christus zu erwähnen, abgelegt hatte. Woran mochte das liegen? Hatte es mit Lieses Tod zu tun? Mit den
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