Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
mir nur dein Messer, ich will dir etwas zeigen. Ich tu niemandem weh. Bekommst es sofort zurück.«
»Na gut.« Hans Mergel griff an seinen Gürtel und wollte dem Jungen das Messer geben, welches er immer bei sich trug.
»Nanu, wo ist es? War doch vorhin noch da.«
»Ist es vielleicht das?« Balthasar zeigte ein schelmisches Lausbubenlächeln, das man bisher nie bei ihm gesehen hatte. Über das ganze sommersprossige Gesicht grinsend und seine gro ßen weißen Schneidezähne zeigend, hielt er das Mergelsche Taschenmesser in die Höhe.
»Wo hast du das her, du Schlingel?«, schimpfte der Bestohlene und griff empört nach seinem Eigentum.
Doch der Junge antwortete nicht, stattdessen wandte er sich an Anna und fragte diese: »Zeig mir deinen Rosenkranz.«
»Hast du mir etwa meinen Rosenkranz gestohlen?« Anna wühlte in ihrer Rocktasche und suchte vergeblich nach dem dort verstauten Rosenkranz ihrer Schwester, denselben, den sie eines Morgens plötzlich in Händen gehalten hatte. Er war nicht mehr da.
»Ist es etwa der hier?« Balthasar strahlte erneut.
»Das heißt also, dass du ein kleiner Beutelschneider bist?«, flüsterte Hans Mergel und sah sich verstohlen um. Immerhin standen sie mitten auf dem Marktplatz und heckten dort kriminelle Pläne aus.
»Kann ich ganz gut, hat noch nie einer gemerkt.«
»Wer hat dir das beigebracht?«, fragte Anna.
»Habe ich von anderen Buben gelernt. Lernt man halt im Krieg.«
»Ja, das ist schon eine verdorbene Generation, diese Kriegskinder. Daran hat man sich versündigt. Kennen nichts anderes als stehlen, hauen und stechen.« Hans Mergel wurde moralisch, doch dann besann er sich auf das Geschäftliche. »Doch was soll’s, dient ja einem guten Zweck. Haben Hunger, und wenn der Junge wirklich so gut ist, dann merkt es tatsächlich keiner, und wir kommen glimpflich davon.«
Und damit begann eine einigermaßen harmlose Diebestour, bei der durch den kleinen Balthasar, ohne dass er einem Menschen ein Haar krümmte, eine ordentliche Summe zusammenkam. Der Knabe, der sich im Übrigen sehr adrett und wohlerzogen verhalten und ausdrücken konnte, hatte es vorwiegend auf Damen abgesehen. Dabei wählte er gekonnt solche aus, die offensichtlich auf dem Wege zu einem Einkauf waren. Meistens waren das Dienstmägde eines reichen Bürgerhaushalts.
Nach nur zwei Stunden hatten die drei mehr als vierzehn Taler zusammen, das war nicht weniger als der Monatslohn eines Feldwebels.
»Wunderbar«, lobte ihn Hans Mergel. »Morgen machen wir so weiter, und dann verlassen wir die Stadt. Nicht, dass man dich noch erwischt.«
Anna war erleichtert, dass Balthasar wohlbehalten zurückkam. Sie wollte sich nicht ausmalen, was man mit ihm angestellt hätte, wenn er auf frischer Tat ertappt worden wäre. Nun konnte sich das Gespann eine Bleibe suchen, und sie fanden diese in einem mehr oder weniger sauberen Wirtshaus, welches sich unweit des Domes in einer engen, kleinen Seitengasse befand. Mergel und Balthasar kamen in einem größeren Raum unter, in dem bereits fünf weitere Männer ihren Schlafplatz hatten, und Anna durfte sich ein kleines Zimmer mit zwei Frauen teilen, einer Mutter und ihrer fast erwachsenen Tochter, die weder mit Anna noch miteinander sprachen. Anna war es recht.
Während Balthasar am nächsten Morgen sein wenig lobenswertes Treiben fortsetzte, gingen Mergel und Anna in die stadt, um sich dort mit all dem auszustatten, was sie auf ihrem weiteren Weg zum Überleben brauchten. Das waren, außer haltbaren und wichtigen Nahrungsmitteln wie Mehl, Linsen, Zwieback, geräuchertem Käse und billigem Wein, auch warme Decken, eine lederne Zeltplane, zahlloses Blechgeschirr, wollene Umhänge, warme Strümpfe und neue Stiefel. Außerdem leisteten sie sich den Luxus, eine große Mettwurst und ein enormes Stück Schinken zu kaufen, zudem einen kleinen Sack voll Trockenobst. Es war reichlich, und niemals in ihrem Leben hatte Anna so viel Geld ausgegeben.
Sie befanden sich gerade an einem Stand, an dem man Tran für ihre Funzeln erstehen konnte, als Mergel plötzlich verstummte und in Richtung des nahegelegenen Rathauses blickte: »Was machen die Kerls denn hier?«
»Wen meinst du?«, fragte Anna erstaunt und schaute in dieselbe Richtung wie Mergel. Dort standen in den Arkaden des erst vor wenigen Jahren errichteten Prachtbaues mehrere Männer mit Federhüten. Offensichtlich handelte es sich um Hauptmänner oder gar Obristen, so vornehm, wie sie gekleidet waren.
»Das sind die hohen Tiere
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