Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
ereignet hatte und bei dem doch tatsächlich eine Bauersfrau samt ihrem erst wenige Monate alten Kind vor den Augen ihres hilflosen Mannes und weiterer vier Kinder zerfleischt worden war.
Mergel fielen zu diesem Thema natürlich wieder viele grausige Erzählungen von Werwölfen und anderen menschenfres-senden Ungetümen ein, die sich in den Wäldern verbargen und auf ahnungslose Passanten warteten.
Die Nächte verbrachte das Gespann wegen der Raubtier- und Räubergefahr entsprechend unruhig, denn nur selten gelang es ihnen, sich in einem echten Gasthaus einzuquartieren. Meist mussten sie, zusammen mit vielen anderen, unter den zugigen Dächern eines Schafstalles oder auch einmal in einer verfallenen Köhlerhütte schlafen.
In selbiger Köhlerhütte, die sie sich mit einem Mann in Mergels Alter und dessen bereits etwa vierzigjähriger, unverheirateter Tochter teilten, geschah es, dass auch sie eine unangenehme Begegnung mit einem Rudel angriffslustiger Wölfe erlebten.
Als nämlich die reife Jungfer des Abends aus der Hütte trat und, nur mit einem kleinen Licht gewappnet, die Tiefen des Waldes aufsuchte, um in uneinsehbarer Abgeschiedenheit ihr keusches Geschäft zu erledigen, da hörte man sie wenige Augenblicke nach ihrem Fortgehen entsetzlich schreien.
schon zuvor hatte die Gruppe das Geheul der Wölfe vernehmen können, doch war das kein Grund zu außergewöhnlicher Besorgnis gewesen, da diese Laute zu den üblichen Geräuschen einer hiesigen Winternacht zählten. Nun schrie also das alte Mädchen, und das brachte ihren Vater – einen verwitweten schneider aus der Nähe der stadt Bremen, der auf dem Weg zu seiner Schwester im Taunus war – in arge Sorge.
Pulver für Balthasars Schusswaffe besaß man nicht, und auch sonst gab es nichts, mit dem man ein ganzes, aus sicherlich zehn bis fünfzehn Tieren bestehendes Rudel hätte vertreiben können.
Der Vater, ein schmächtiges, kleines Männlein, getraute sich, trotz der immensen Angst um sein Töchterchen, nicht allein hinaus. Mergel konnte ihn nicht begleiten, was er insgeheim nicht bedauerte, und Anna sowie Balthasar wagten es ebenfalls nicht.
Also wartete man in der winzigen Herberge und lauschte den Geräuschen, die sich hoffentlich dahingehend entwickelten, dass Traude, so ihr Name, allein den Weg zurück in die sicherheit finden werde. Und tatsächlich kam sie nach nicht allzu langer Zeit herangestürmt. Vollkommen aufgelöst, hatte sie nicht einmal bemerkt, dass sich ihr Kleid hinten in ihrem Gürtel verfangen hatte und somit das nicht mehr ganz frische Hinterteil vollkommen bloßgelegt war. Anna sprang schnell und diskret zur Hilfe und verhüllte die Jungfrau mit einem gekonnten Ruck wieder.
Dank erfuhr sie nicht für ihre höfliche Tat, dazu war die gute Traude zu aufgeregt. Kreischend berichtete sie ihrem ebenfalls weinenden Vater, wie ein böser Wolf sie im Wald angefallen habe. Wie er bereits zähnefletschend vor ihr gestanden habe und gerade zum Angriff übergehen wollte, als sie ihn durch ihren Aufschrei verscheuchen konnte. Doch dann hätte er es sich doch anders überlegt und sei ihr nun, mitsamt seinen Kameraden, bis hierher zur Hütte gefolgt.
Und tatsächlich: Da draußen auf dem Köhlerplatz erhob sich ein schreckliches Geheul, und im Schein des das Mondlicht reflektierenden Schnees konnte man bei einem Blick durch einen Spalt in der Hüttenwand etwa ein Dutzend vierbeiniger Schatten erblicken.
Sie warteten. Warteten darauf, dass einer von den Menschen herauskam oder dass einer von ihnen eine Möglichkeit fand, zu den Menschen in die Hütte einzudringen.
Man begann sich auf eine lange, schlaflose Nacht vorzubereiten und hoffte, dass die hungrigen Tiere irgendwann die Geduld verlieren würden. Das taten sie nicht. Eine stunde nach Mitternacht machten sich zwei von ihnen auf und liefen schnurstracks in den Verschlag neben der Köhlerhütte, dorthin, wo das erst kürzlich und teuer erworbene Pferd untergebracht war.
Das arme Tier wieherte erbärmlich, doch was sollte man tun? Vielleicht war es auch ihre eigene Rettung, wenn sie ein Opfer brachten, dachte Anna.
Man hatte sich bereits mit dem Tod des Zugtieres abgefunden, als sie plötzlich einen ohrenbetäubenden Knall vernahmen. Dann brachen mit einem Mal auf dem Köhlerplatz – dort, wo sich die übrigen heulenden Wölfe aufhielten – zahlreiche kleine Feuerchen aus. Sicher zwanzig Feuerstellen brannten dort, und wieder war ein Knall zu hören, sodass sich alle Wölfe im Nu und mit
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