Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
eingezogenen schwänzen winselnd davonmachten. Gefolgt von dem wütenden Gebell eines Hundes, der ihnen offensichtlich in den Wald nachfolgte.
»Was war denn das, in Gottes Namen?«, fragte Anna.
»Hexerei«, antwortete der Schneider.
»Hexerei«, wiederholte seine Tochter.
»Da kennt sich einer aus, wie man Wölfe vertreibt«, meinte Mergel.
»Langsam gruselt es mich«, sagte Anna leise.
»solange uns nur Gutes geschieht, brauchst du dich nicht zu gruseln. Ist doch bisher alles zu unserem Wohl verlaufen. Wer auch immer unser heimlicher Helfer sein mag.« Hans Mergel schien die Ereignisse der letzten Wochen als selbstverständlich hinzunehmen, in denen den dreien mehrmals nicht nur aus misslichen Lagen geholfen, sondern ihnen auch manches Mal das Leben gerettet worden war, ohne dass sie wussten, von wem. Anna hingegen nahm es nicht so leicht. Sie, die sonst so vertrauensselig war, glaubte in diesem Fall, dass man es nicht allein gut mit ihnen meinte.
Wer war das? Was wollte er? Warum half er ihr? Warum tötete er sie nicht endlich? Warum hatte er ihr die Sanduhr gebracht und ließ sie dennoch am Leben? Wollte er sie quälen? Mit ihr spielen? Wollte er nur den richtigen Zeitpunkt abwarten, um dann zuzuschlagen? Anna konnte es sich nicht erklären.
Sicherlich hatte sie sich in ihren Fantasien immer wieder ausgemalt, wie es wäre, ihn zu überführen, ihn in heldenhaftem Alleingang dingfest zu machen und endlich außer Gefecht zu setzen. Doch das waren nur Gedanken gewesen, keineswegs war das Annas Wunsch. Sie wollte ihre Ruhe. sie wollte, dass es endlich ein Ende fand. Doch es war noch nicht zu Ende, das spürte sie deutlich. Und sie spürte auch, dass diese Angelegenheit ihr Problem war. Allein ihr Problem. Aus welchem Grund auch immer. Und deshalb beschloss sie, nicht mehr darüber zu reden.
Am nächsten Morgen – man schlief sehr lange und erhob sich erst aus seinem Nachtlager, als die Sonne bereits aufgegangen war – erlebten die kurzfristigen Bewohner der bescheidenen Köhlerhütte eine weitere Überraschung. Neben Annas Liege-stätte war ein Hund angebunden, ein großer schwarzer Hund. Er sah sehr friedlich aus und schaute die soeben erwachte Anna aus treuen Augen an.
Natürlich durchfuhr sie angesichts dieser durchaus bekannten Symbolik ein eisig-heißer Schreck. Hatte er ihr jetzt schon einen Hund gebracht? Unwillkürlich fasste sie sich an die Kehle. Kein Blut – sie lebte noch, war wohlauf.
Anna weckte die noch immer schlafende Jungfrau und fragte diese mit bebender Stimme, ob sie und ihr Vater etwa einen Hund dabeigehabt hätten, der Anna bisher vielleicht nicht aufgefallen sei. Traude wusste gar nicht, worum es ging, und verneinte die ihr am frühen Morgen seltsam erscheinende Frage.
Auch alle anderen konnten sich die Gegenwart des zwar gro ßen, aber noch nicht ganz ausgewachsenen und lammfrommen Tieres nicht erklären.
»Wir nehmen ihn einfach mit«, schlug Balthasar vor, der den Hund sogleich ins Herz geschlossen hatte und ihn liebevoll Puck taufte, ganz so, wie er auch das kleine Hündchen geheißen, welches er als Dreijähriger von seinem Vater geschenkt bekommen hatte.
Anna hingegen konnte es nicht lassen, das schwarze Tier anzustarren. Und je länger sie es fassungslos betrachtete, desto mehr wurde ihr gewiss, dass sie diesen Hund kannte. Sie hatte einen ebensolchen großen schwarzen Hund mit glattem Fell, aber zotteligen Ohren und einer weißen Spitze am Schwanz gekannt, und dieser Hund war die gute Fee gewesen – die Hofhündin des Bauern schulz. Fee jedoch war am selben Tag wie der Bauer, wie seine Magd Katharina und wie Annas Schwester Mine gestorben. Das wusste Anna genau, hatte sie ihren toten Körper doch im Hof liegen sehen. Dieser Hund hingegen glich Fee, abgesehen davon, dass er jünger und ein Rüde war, in jedem Detail. Selbst die Augen hatten diesen eigentümlich traurigen und dennoch vollkommen aufmerksamen Ausdruck, wie sie ihn nur von der lieben Fee kannte.
Wahrscheinlich, so dachte sich Anna, die nicht mehr an Zufälle und auch nicht mehr ausschließlich an göttliche Fügungen glauben wollte, wahrscheinlich war er aus dem Wurf und – ja! Da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Ja, er war es auch, den sie einige Tage bei sich gehabt hatte. Den sie als Welpen mit auf ihre erste Flucht in den Wald genommen hatte. Es war ebendieser kleine wimmernde Hund, der an Mines Fuß festgebunden gewesen war. Und nun war er gewachsen und saß neben ihr. Was hatte all das nur
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