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Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)

Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)

Titel: Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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aufgesucht, doch niemand wollte einen solch weiten Weg in Kauf nehmen.
    Ein vierter Medicus, ein ziemlich zweifelhafter Mann, der im fünften Stock eines schmalen Mietshauses lebte und von dem Knaben zwischen zerbrochenen Flaschen, zerknülltem Papier und Unmengen an Mäusedreck kaum ausfindig zu machen war, erklärte sich bereit, für einen mehr als unverschämten Betrag den Kranken zu untersuchen. Jedoch, und das war seine Bedingung, müsse man ihm den Patienten herbringen, und zwar in ebendiesen schmutzigen Raum unter dem Dach.
    Balthasar sagte zu, auch wenn er sich nicht vorstellen konnte, wie man den armen Mergel den ganzen Weg bis in die auf einem Hügel gelegene Stadt transportieren und ihn dann auch noch 60 Stufen einer engen und dunklen stiege hinaufbringen sollte.
    Mit einem unguten Gefühl machte auch er sich auf den Weg zurück in die Waldhütte.
    Anna und Balthasar begegneten sich unweit ihrer Unterkunft und beschlossen, nachdem sie sich beide ihre glücklose Suche eingestanden hatten, selbst etwas zu unternehmen. Es war der Junge, der Anna vorschlug zu amputieren.
    »Habe schon oft gesehen, wie das gemacht wird. Ich glaube, uns bleibt nichts anderes übrig. Eine Säge habe ich in der Hütte gesehen.«
    Anna war nicht wohl bei dem Gedanken, und insgeheim wünschte sie sich, dass Mergel bereits erlöst sei, wenn sie die Tür zu ihrer Herberge öffneten.
    Und tatsächlich herrschte dort im Innern Totenstille. Das Feuer war mittlerweile erloschen, und in der Dunkelheit war nicht das geringste Lebenszeichen ihres Begleiters zu hören oder zu sehen. Vorsichtig schlich der Junge mit der Laterne ins Innere des kleinen Raumes, in dessen linker Ecke Hans Mergel liegen musste.
    Anna wartete draußen.
    Dann schrie Balthasar entsetzlich auf: »Komm her, Anna! Komm!«, rief er.
    »Was ist los? Ist er tot?« Anna stand noch immer in der Tür. Ihre Gedanken von vorhin, als sie mit Mergel allein gewesen und die seltsamen Geräusche gehört hatte, gingen ihr wieder durch den Kopf.
    »Ich weiß nicht. Aber da ist etwas geschehen.«
    »Was ist geschehen?«
    »sieh selbst.«
    »Nein, sag mir, was geschehen ist.«
    »Komm herein und sieh selbst. Ich weiß es doch auch nicht. Kann es mir nicht erklären.«
    Anna nahm dem Jungen die Laterne ab und ging hinein. Sie schloss die Augen und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Erst als sie in der Mitte des Raumes angekommen war, blinzelte sie ein wenig.
    Da lag er noch immer auf seinem Lager und war tot. Oder schlief er? Woher kam nur das ganze Blut? Anna lüftete das rot durchnässte Laken. Und da erkannte sie, was geschehen war.
    Das Bein war nicht mehr da. Es war abgeschnitten. Amputiert. Amputiert und bereits verbunden.
    »Hier ist es.« Balthasar stand hinter ihr und deutete auf das an der Wand lehnende abgetrennte Körperglied. Daneben stand eine blutige Axt.
    Anna wurde übel, doch sie riss sich zusammen und fühlte Mergels Puls. Er lebte noch. Ganz leise konnte sie ihn auch atmen hören.
    »Wer war das?«
    »Keine Ahnung.«
    »Hat er es selbst gemacht?«
    »Das ist unmöglich. Niemals.«
    »Er muss es selbst gemacht haben.« Anna konnte und wollte es sich nicht anders erklären.
    »Natürlich. Und dann stellt er das abgehackte Bein fein säuberlich an die Wand.«
    Der Junge hatte Recht.
    »Aber wer war das dann?«
    »Vielleicht ist jemand zufällig vorbeigekommen. Wir sind ja nicht die Einzigen, die hier unterwegs sind. Er hat gesehen, dass es dem Alten schlecht geht und dass er allein ist, und dann hat er das Einzige gemacht, was man noch machen kann, um ihm zu helfen.«
    »Warum lässt er ihn dann einfach allein zurück?«
    »Möglicherweise ist er etwas holen gegangen. Ein Medikament oder Kräuter, wer weiß.«
    »Ja, das kann sein. Wir müssen uns auch nicht den Kopf darüber zerbrechen. Seien wir froh, dass er noch lebt.« Das sagte Anna, aber tatsächlich hatte sie ein ungutes Gefühl bei der sache, ein sehr ungutes Gefühl.
    Es vergingen Wochen, bis Hans Mergel wieder einigermaßen zu Kräften kam. Besonders der hohe Blutverlust machte dem alten Mann zu schaffen. Es war ihm kaum möglich, sich in seinem Lager aufzurichten und etwas zu essen oder zu trinken. Die Amputationswunde hingegen heilte gut. Beim Verbinden hatte Anna bemerkt, dass hier sehr sorgfältig gearbeitet worden war. Der »Heiler«, an den auch Mergel sich beim besten Willen nicht erinnern konnte, hatte vor dem Abtrennen des fauligen Beins sogar Hautlappen abgezogen und dann an dem stumpf

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