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Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)

Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)

Titel: Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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vernäht.
    Es musste ein Arzt gewesen sein, ein Bader, Feldscher oder richtiger Medicus, so nahmen sie an, einer, der in jedem Fall etwas von seinem Handwerk verstand. Und das machte die Angelegenheit umso mysteriöser: Was hatte ein solcher Wunderheiler – der um Längen besser arbeitete als jeder Feldarzt – in diesem gottverlassenen Wald zu tun? Doch laut Mergel gab es, wie er nie müde wurde zu betonen, in diesen Zeiten nichts, was unmöglich war, und damit schien die Sache erklärt.
    Es blieb zu hoffen, dass von der Narbe keine neue Entzündung ausging. Hans Mergel hatte insofern Glück gehabt, als sich der Wundbrand nur nach unten, in Richtung des Beines, ausgebreitet hatte. Lendenbereich und Rumpf waren unversehrt geblieben.
    Anna und Balthasar versorgten ihren Patienten, so gut es ging, und offensichtlich mit langsamem, aber stetigem Erfolg.
    Weihnachten ging vorüber und wurde nur sehr trostlos gefeiert, denn mittlerweile waren alle Nahrungsmittel ausgegangen. Auch in den benachbarten Dörfern war nichts mehr zu bekommen. Zweimal gelang es Balthasar, ein mageres Huhn zu stehlen, und einmal fing er ein Kaninchen, sodass man dem Kranken wenigstens eine heiße Brühe kochen konnte.
    Von dem Retter – denn so mussten sie den heimlichen Medicus im Nachhinein nennen – hörten sie nichts mehr. Auch sonst blieben die drei allein. Nur ein paar polnische Pferdehändler kamen vorbei, schliefen eine Nacht in der Hütte, lauschten den Kriegsberichten des Hans Mergel und verkauften den drei Reisenden ein Pferd. Sicherlich zu einem viel zu hohen Preis, doch hatte das Geld im Moment ohnehin keinen Wert, und Hans Mergel musste nun so bequem wie möglich reisen. Dem armen Esel war es nicht mehr zuzumuten, einen kranken Mann samt seiner Bettstatt und den gesamten Hausrat zu ziehen. Die Polen nahmen ihn in Zahlung, sehr wahrscheinlich würde er geschlachtet.
    Es war bereits Ende Januar, als es endlich weitergehen konnte. Die Gruppe zog an Marburg vorbei, welches sie laut Mergel besser nicht betreten sollten.
    »Ein Pestloch ist das. Dutzende Mal belagert und heimgesucht. Da sterben die Menschen reihenweise wie die Ratten. Es gibt nichts, was da nicht eingeschleppt wurde.«
    »Wann wird es denn endlich besser?«, wollte Anna wissen, die kaum noch glauben konnte, dass es irgendwo einen Flecken Erde gab, der nicht nachhaltig vom Krieg geprägt war.
    »In Gießen müsste es besser werden. Ist nicht mehr weit bis dahin. Das gehört meines Wissens schon zu Hessen-Darmstadt. Zu den Katholischen, wie ich dir ja schon gesagt habe. Kannst du dich erinnern, oder soll ich es dir noch einmal erzählen?«
    »Kann mich erinnern«, log Anna und freute sich auf Gie ßen.
    Doch auch hier war nicht viel zu holen. Zwar hatte der Krieg hier keine seuchen und verbrannten Dächer hinterlassen, zumindest nicht so viele wie im nördlichen Teil Hessens. Aber dennoch regierte der Hunger, denn wie in vielen Gebieten Deutschlands hatte es in den letzten Jahren nichts als Missernten gegeben. Tauschgeschäfte waren an der Tagesordnung, und da man nichts mehr zu tauschen hatte außer dem, was man am Leibe trug, zogen Anna, Mergel und Balthasar meist hungrig weiter in den süden.
    Der Januar war bitterkalt, und stellenweise war es den dreien unmöglich weiterzukommen, da der Karren sich keinen Fußbreit durch den zum Teil knietiefen schnee bewegen ließ.
    Hans Mergel schlug vor, schlittenkufen zu bauen, doch wusste er selbst, dass es dazu an Material und ihm selbst an Kraft mangelte. An manchen Tagen schafften sie nicht einmal eine Meile. Dann gab es wieder solche Tage, an denen der Weg von entlassenen Soldaten und deren Anhang nur so wimmelte, sodass der Schnee wunderbar plattgetreten und somit für das Pferdefuhrwerk passierbar war.
    Der Nachteil an einem solch großen Menschenaufkommen auf Hessens Wegen war der, dass die allgemeine sicherheit gehörigen Schaden nahm. Mehrmals wurden Anna und ihre beiden Begleiter bedroht. Einmal war sogar das Pferd bereits dreist ausgespannt worden und konnte nur durch Balthasars Geschick zurückgestohlen werden. Darüber hinaus war es nur möglich, in der Helligkeit zu marschieren, und selbst da war man nicht sicher vor Wölfen. Denn sie trieben sich in diesem Winter in Unmengen in den Wäldern herum, drangen hungrig und rudelweise in die Dörfer ein und rissen dabei, so wurde erzählt, nicht nur Haustiere, sondern fielen auch Menschen an.
    Anna erfuhr von einem Wolfsangriff, der sich unmittelbar vor ihrem Durchmarsch

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