Des Teufels Werk
bis Nathaniel mit der unerfreulichen Neuigkeit über die Vollmacht zurückkam?«
Sie kniff den Mund zu einer schmalen Linie zusammen. »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen. Dass meine Mutter diesem Anwalt die Vollmacht gegeben hatte, hörte ich zum ersten Mal, als sie in die Psychiatrie eingewiesen wurde.«
»Das ist gut«, sagte ich aufmunternd, »denn als ich Inspector Bagley von den Versorgungsstörungen im Haus erzählte, meinte er, das höre sich nach einer Terrorkampagne an. Er überlegte sofort, ob MacKenzie da die Hand im Spiel gehabt haben könnte.« Ich hielt einen Moment inne. »Ich konnte ihm sagen, dass das ausgeschlossen ist – MacKenzie war zwischen November und Januar im Irak –, aber, wie Bagley meinte, wenn nicht MacKenzie, wer dann? Wer bringt es fertig, einer geistig verwirrten alten Frau all diese lebensnotwendigen Dinge zu entziehen, Wasser, Licht, Wärme und Nahrung?«
Vielleicht hätte ich ihre Antwort vorhersehen müssen, wie Jess es sicherlich getan hätte, aber mir war nicht klar, wie unintelligent Madeleine tatsächlich war. Sie war so sehr damit beschäftigt, nichts von dem herauszulassen, was sie und Nathaniel getan hatten, dass ihr die naheliegende Antwort – ›Hier im Haus war alles in Ordnung, als ich es zur Vermietung hergerichtet habe‹ – gar nicht in den Sinn kam.
Die geistesgegenwärtige Reaktion wären Überraschung und Ungläubigkeit gewesen – ›eine
Terror
kampagne?‹ – und ein sofortiger Verweis auf Lily und ihre Krankheit: ›Das muss Mami selbst getan haben. Sie wissen doch, wie alte Menschen sind. Sie jammern ständig darüber, wie teuer das Leben ist.‹ Stattdessen offerierte sie mir ihren vorgefertigten Bösewicht. In mancher Hinsicht war es zum Lachen. Ich konnte beinahe hören, wie sich die Rädchen in ihrem Hirn drehten, als sie den ›Text‹ abspulte, den sie und Nathaniel eingeübt hatten.
»Es gibt nur einen Menschen in Winterbourne Barton, der derart gestört ist«, sagte sie und sah mir dabei direkt in die Augen. »Ich habe versucht Sie zu warnen, aber Sie wollten ja nicht auf mich hören.«
Es war ekelhaft, wie eilig sie es hatte, Jess zu beschuldigen. Sie sah zufrieden aus, als wäre sie froh, dass ich endlich eine Frage gestellt hatte, auf die sie die richtige Antwort hatte.
»Jess?«, fragte ich.
»Natürlich. Sie war völlig auf meine Mutter fixiert. Sie hat dafür gesorgt, dass es ständig irgendwelche Probleme gab, nur damit meine Mutter sie dann zu Hilfe rufen musste. Ihr Lieblingstrick war es, den Herd außer Betrieb zu setzen, weil sie die Einzige war, die wusste, wie man ihn wieder in Gang bekommt.« Sie beugte sich vor. »Sie kann nichts dafür – ein Freund von mir, ein Psychiater, hat mir erklärt, dass sie wahrscheinlich am sogenannten Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom leidet –, aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass sie so weit gehen würde, das Wasser und den Strom abzustellen.«
Ich lächelte skeptisch. »Wieso hat sie es dann nicht bis zur letzten Konsequenz durchgezogen?«
»Wie meinen Sie das?«
»Wieso hat sie die Situation nicht ausgebeutet? Leute, die am Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom leiden, suchen Aufmerksamkeit. Sie brauchen Publikum. Sie machen andere Menschen krank, damit sie sich als aufopfernde Helfer darstellen können.«
»Aber genau das hat sie doch getan. Sie wollte Mamis Dankbarkeit erzwingen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Es wird nicht die Aufmerksamkeit des
Opfers
gesucht – die Opfer sind fast immer Säuglinge und Kleinkinder, die nicht für sich selbst sprechen können –, nein, diese Leute wollen die Anteilnahme und Bewunderung anderer, von Nachbarn und Ärzten zum Beispiel.«
Die Wut machte ihren Blick hart. »Ich bin keine Expertin. Ich wiederhole hier nur, was ein Psychiater mir gesagt hat.«
»Der Jess nie gesehen hat und nicht weiß, dass die Aufmerksamkeit anderer ihr so zuwider ist, dass in Winterbourne Barton kaum einer sie kennt.«
»Sie kennen sie auch nicht«, fuhr sie mich an. »Sie wollte nur Mamis Aufmerksamkeit – ihre
ungeteilte
Aufmerksamkeit –, und verlor alles Interesse an ihr, als die Krankheit immer weiter fortschritt. Sie gefiel sich als ihre ständige Begleiterin, aber sie zu pflegen, hatte sie keine Lust. Allein darum geht es in diesem Brief« – sie wies mit einer Kopfbewegung auf das Blatt Papier –, »die Verantwortung abzuwälzen, sobald es anstrengend wurde.«
»Was gibt es daran auszusetzen? Sie ist ja nicht einmal mit Lily
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