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Des Teufels Werk

Titel: Des Teufels Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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gar nicht so schief lag, sie brachte mir nämlich regelmäßig vom Hof etwas zu essen vorbei –, aber die ständigen Überfälle und ihr herrisches Auftreten begannen mich zu ärgern.
    Ich kann nicht behaupten, dass ich sie in dieser Zeit besser kennen lernte. Zwischen uns gab es keine vertraulichen Gespräche. Sie benutzte das Schweigen als Waffe – entweder weil sie genau wusste, was für eine Reaktion es hervorrief, oder keine Ahnung davon hatte. Es gestattete ihr, stets die Szene zu beherrschen – ich spreche hier von den Treffen zwischen ihr und mir, denn mit anderen Leuten habe ich sie, außer wenn Peter ab und zu vorbeikam, nie erlebt. Man hatte keine andere Wahl, als ebenfalls zu schweigen oder sinnlose Selbstgespräche zu führen. Beides war nicht sehr gemütlich.
    Es war schwer zu sagen, wie weit sie das ganz bewusst so machte. Manchmal hatte ich den Eindruck, sie sei in hohem Maß manipulativ; dann wieder sah ich sie als Opfer, isoliert und unzugänglich infolge der Umstände. Peter, der sie wahrscheinlich besser kannte als die meisten, verglich sie mit einer Wildkatze – eigenwillig und unberechenbar, mit scharfen Krallen. Es war ein recht romantischer Vergleich, aber gar nicht schlecht, in Winterbourne Barton schien es ja tatsächlich das allgemeine Ziel zu sein, sie zu ›zähmen‹. Menschen, die nicht bereit sind, sich anzupassen, mögen für die Medien das tägliche Brot und von der bürgerlichen Quasselgesellschaft geliebt sein, in kleinen ländlichen Gemeinden erregen sie Anstoß und werden ausgesondert.
    Im Lauf der Zeit hörte ich Bezeichnungen für Jess, die von der »Tierschutzaktivistin« bis zur »raubgierigen Lesbe« reichten, ja, wegen ihrer flachen Gesichtszüge und der weit auseinander stehenden Augen wurde sogar getuschelt, sie sei »mongoloid«, was natürlich absoluter Blödsinn war. Weniger sicher war ich mir allerdings bezüglich der Tierschutzaktivistin und der Lesbe. Sie war am lebhaftesten, wenn ich ihr Fragen über Vögel und andere wild lebende Tiere im Tal stellte, konnte jedes Tier nach meiner Beschreibung mit Namen benennen und geriet manchmal regelrecht ins Schwärmen, wenn sie von ihren Lebensräumen und Verhaltensmustern erzählte. Und sie besuchte mich regelmäßig zweimal am Tag, so dass ich mich allmählich fragte, ob das eine Art Liebeswerben war. Damit sie nicht unnötig ihre Zeit verschwendete, gab ich ihr klar zu verstehen, dass ich heterosexuell bin, aber das interessierte sie so wenig wie alle mehr oder weniger verbrämten Aufforderungen, mich in Ruhe zu lassen.
    Nach zwei Wochen war ich nahe daran, die Türen abzusperren, den Mini in der Garage zu verstecken und vorzutäuschen, ich wäre nicht da. Zu der Zeit hatte ich begriffen, dass ich auserwählt war, ihre besondere Gunst zu genießen, denn sie besuchte sonst keinen Menschen, nicht einmal Peter. Es hätte mich interessiert, ob Lily sie auch so aufdringlich gefunden hatte wie ich. Ein oder zwei Leute meinten, Jess' Anhänglichkeit gelte Barton House, aber ich konnte das nicht so sehen. Wahrscheinlicher fand ich Peters Erklärung, dass ich für sie so etwas wie ein Vogel mit gebrochener Schwinge war. Auf ihre merkwürdig distanzierte Art schien sie mich ständig auf Anzeichen wiederkehrender Ängste zu beobachten.
    Erstaunlicherweise zeigte ich keine. Jedenfalls anfangs nicht. Aus irgendeinem Grund schlief ich in diesem alten, dumpf hallenden Haus besser als in der Wohnung meiner Eltern. Das war eine Überraschung. Zumal ich allein war. Eigentlich hätte jeder Schatten mich erschrecken müssen. Abends klopfte die Glyzinie an die Fensterscheiben, und das Mondlicht warf auf die Vorhänge Scherenschnitte kräftiger Ranken, die wie Finger aussahen. Unten luden die vielen Fenstertüren jeden ein, ins Haus einzubrechen, während ich schlief.
    Diese Bedrohung bannte ich, indem ich die Türen zum Flur offen ließ und immer eine Taschenlampe neben dem Bett liegen hatte. Das Beruhigende in diesem Haus war, dass zu jedem Zimmer ein Ankleideraum mit eigener Tür zum Flur gehörte, so dass ich immer einen Notausgang hatte, sollte ein Einbrecher durch den Korridor geschlichen kommen. Außerdem hatte das Haus zwei Treppen, eine vorn und eine hinten, die zur Spülküche hinunterführte. Das gab mir die Zuversicht, dass es mir gelingen würde, jedem Eindringling ein Schnippchen zu schlagen. Ich sprühte Jess' Schmieröl in alle Außenschlösser im Erdgeschoss und sah die Türen und Fenster als Fluchtwege und nicht als

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