Des Todes Liebste Beute
wie Jack vorsichtig den ersten Umschlag aufschlitzte und den Inhalt auf den Tisch kippte. Er schaltete einen Rekorder ein. »Dies ist der Umschlag mit dem Polaroid von Anthony Ramey«, sprach er ins Mikrofon. »Darin befinden sich vier weitere Polaroids. Ansichten des Opfers aus verschiedenen Blickwinkeln. Sieht aus wie ein Betonboden im Hintergrund.«
Abe sah die Fotos durch. »Hier ist eine Nahaufnahme seines Kopfes. Die Kugel war vermutlich eine zweiundzwanziger.« Er schaute zu Kristen auf. »Alles, was größer ist, hätte nicht mehr viel von seinem Gesicht übrig gelassen.«
Jack widmete sich wieder dem Inhalt des Umschlags. »Vier Polaroids und eine … Karte mit einem sauberen kleinen ›X‹. Das könnte das Arboretum markieren.«
Spinellis Schnurrbart zog sich nach unten. »Da haben wir ihn damals geschnappt.«
Jack legte die Karte auf den Tisch und behielt ein Blatt Papier in der Hand. Er stand reglos da, während er die Zeilen überflog. Dann sah er verunsichert auf. »Und ein Brief, der mit ›Meine liebe Kristen‹ beginnt.«
Kristen riss die Augen auf. »Er ist an mich?«
Sie war schockiert, dachte Abe, und wen wunderte es. Der Killer war ein wenig zu persönlich geworden. »Lesen Sie vor, Jack«, sagte Abe leise. »Wir wollen es alle hören.«
Mittwoch, 18. Februar, 22.00 Uhr
Jacob Conti machte sich nicht die Mühe, den Türsteher anzusehen, als die Tür des Clubs für ihn geöffnet wurde. Er war reicher, als die meisten Menschen sich vorstellen konnten. Jeder hielt die Tür für Conti auf. Er hatte längst vergessen, dass es eine Zeit gegeben hatte, als eine derart respektvolle Geste ihn überrascht hätte. Er suchte die Menge der wogenden Leiber auf der Tanzfläche ab und verengte die Augen, als er Angelo an einem der Tische entdeckte. Sein Sohn war leicht auszumachen. Nicht viele der Männer hier hatten auf jedem Knie ein Flittchen sitzen und hielten dazu noch eine Flasche in der Hand. Man hätte meinen sollen, dass er, nachdem er nur knapp einer Gefängnisstrafe entgangen war, wenigstens für einen einzigen Abend etwas kürzer treten würde, aber nein – doch nicht Angelo. Da saß er und feierte zweifellos seine Freiheit.
Angelos Feiern waren legendär. Und nun waren sie zu Ende.
Jacob stand eine volle Minute vor seinem Sohn, bevor dieser bemerkte, dass er da war.
»Hallo, Vater«, lallte Angelo und hob zum Gruß die fast leere Flasche.
»Steh auf«, presste Jacob zwischen den Zähnen hervor. »Steh auf, bevor ich dich hier rauszerre.«
Angelo starrte ihn einen Moment an, dann kam er langsam und vorsichtig auf die Füße. »Was ist los?«
»Du betrinkst dich in der Öffentlichkeit, das ist los.«
Angelo grinste. »Na und? Ich bin freigesprochen worden.« Er fuhr sich mit der Zunge über die Zähne, als überraschte es ihn, wie leicht sich das Wort aussprechen ließ. »Ich kann nicht noch einmal verklagt werden. Nicht zweimal wegen des gleichen Vergehens.«
Jacob packte Angelos Jackenaufschläge und zog ihn auf die Zehenspitzen. »Du Vollidiot. Du bist nicht freigesprochen worden. Die Jury konnte sich nicht einigen. Das bedeutet, dass sie es noch einmal versuchen werden. Das bedeutet, dass diese Mayhew dich sehr genau beobachten wird. Das bedeutet, nur einen falschen Schritt und du sitzt wieder im Knast.«
Angelo machte sich los und strich sich die Aufschläge mit feuchten Händen glatt. Er gab sich Mühe, seine Würde zu bewahren, aber es gelang ihm nicht besonders gut. »Ich hätte nichts dagegen, Miss Mayhew wiederzusehen. In dem schwarzen Kostüm steckte ein verdammt süßer Hintern.« Er zog eine Braue hoch. »Aber dass ich nicht wieder ins Gefängnis gehe, steht trotzdem fest.«
Jacob ballte die Fäuste an seinen Seiten. Er hätte Angelo hier und jetzt eine Ohrfeige verpasst, aber Elaine mochte es nicht, dass er die Hand gegen den Jungen erhob. Der »Junge« war einundzwanzig und verursachte nur Ärger. »Und was macht dich da so sicher?«
Angelo grinste spöttisch. »Weil du mich wie immer freikaufen wirst.«
Angelo begann, sich durch die Menge der Tänzer zu drängen, und Jacob sah ihm nach. Sein Sohn hatte Recht. Er liebte seinen missratenen Sprössling und würde alles tun, um ihn zu schützen.
Mittwoch, 18. Februar, 22.00 Uhr
»Das war’s«, sagte Jack, nachdem er das letzte Wort des Briefes gelesen hatte.
Kristen starrte den Zettel an und war froh, dass er sich in Jacks ruhigen Händen befand. Da sie wusste, dass die anderen auf eine Reaktion von ihr
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