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Desiderium

Desiderium

Titel: Desiderium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christin C. Mittler
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der fallen gelassenen Schwerter in der Hand, kam gerade rechtzeitig. Die Schwerter schützend vor sich, drängte sie sich zwischen Lillian und die Spitze. Holz prallte auf Metall.
    Jaron gelang es, Lillian hervorzuziehen und sie auf die Beine zu stellen. Sie war soweit bei Bewusstsein, dass sie sich an ihn klammerte.
    »Bring Lilli weg«, sagte Cassim. »Ich komm nach. Geh!«, fügte sie mit Nachdruck hinzu.
    Jaron befolgte ihre Anweisungen. Da die Tür versperrt war, würden sie nur durch das Loch nach draußen gelangen. Er selbst kletterte zuerst hinaus, wobei er sich die Handflächen aufschnitt, bevor er Lillian nachzog. Auch sie verletzte sich dabei, aber es waren oberflächliche Wunden, die bereits in wenigen Stunden wieder verheilt sein würden.
    Als sie hinausgingen, stützte er sie vorsichtshalber. Er war dankbar dafür, dass sie zwar wach genug war, um auf ihn zu hören, aber noch nicht wach genug, um sich erinnern und panisch zu werden.
    Die Schützen waren allesamt verschwunden. Nur vereinzelte Pfeile erinnerten an das, was draußen passiert war. Sogar ein paar der Echos waren nach draußen gekommen, zombiehaft wie immer.
    »Lilli?« Behutsam hob er ihren Kopf in seine Rich tung, als sie den Ausgang erreicht hatten. »Du weißt, dass es nicht mehr weit ist bis zu Darraghs Haus. Meinst du, du schaffst es bis dahin ohne mich? Du kannst dich dort ausruhen. Wenn Darragh da ist, wird er sich um dich kümmern. Schaffst du das? Lilli? Verstehst du mich?« Er musste noch einmal zu Cassim; er wurde das Gefühl nicht los, dass sie nicht wie angekündigt nachkommen würde.
    Lillian nickte, ließ ihn los und tappte vorsichtig nach vorne.
    Einige Sekunden blickte er ihr nach, hin- und hergerissen, ob er das richtige tat, dann wandte er sich um und ging zurück.
    Ein stechender Schmerz am Kopf stoppte ihn. Ohne sich abfangen zu können, fiel er auf die Knie. Nur kurz konnte er einen Blick hinter sich werfen, bevor er zusammenbrach.

17. Der Tod macht nicht vor Sehnsüchten halt!
     
     
    Als ich wieder zu mir kam, schienen die Schmerzen verschwunden zu sein. Meine Ohren nahmen kaum etwas wahr als hätte jemand Watte hinein gesteckt. Ich konnte die Augen nicht öffnen. Nur mein Magen rumorte.
    Mich befiel der Verdacht, dass meine Zeit abgelaufen sei. Dass ich wie viele meiner Vorgänger jung gestorben war.
    Wenigstens hatte ich Lillian in Sicherheit bringen können.
    Nein, flüsterte eine leise Stimme in meinem Kopf. Wenn ich tot war, war Lillian eines der Echos.
    Bei dem Gedanken daran em pfand ich etwas wie Mitleid oder Trauer.
    Ich hatte sie nie näher kennengelernt, hatte mich auf das verlassen, was ich von ihr gesehen und Jaron mir erzählt hatte. Ich hatte nie erkannt, weshalb sie existierte, weshalb sie die Dinge tat, die sie tat.
    Es war, als hätte ich es versäumt, eine Freundin aus Sandkastentagen noch einmal anzurufen, um zu erfahren, was aus ihr geworden war.
    Jetzt war es dafür zu spät.
    Denn wenn ich tot war, war sie eines der Echos.
    Ich musste an die denken, die ich zurücklassen würde: Um meine Großeltern machte ich mir keine Sorgen. Mamé würde traurig sein, pépé enttäuscht, weil es schon wieder eine Auserwählte weniger gab. Umbringen würde es sie nicht. Aber die Vorstellung, wie meine Mutter oder meine Schwester reagieren würden, trieb mir einen Kloß in den Hals. Auch Alice wäre bestürzt, in den letzten Monaten war sie nicht nur auf die ich-lass-mich-von-dir-nicht-abwimmeln- Art meine beste Freundin geworden. Und Jaron … Lillians unfreiwilliger Umzug in die Stadt der Echos würde ihn sicherlich treffen. Vielleicht würde es ihm auch fehlen, mich nicht mehr mit Murmeln bewerfen zu können.
    Ich würde es nie erfahren, denn ich war wahrscheinlich tot. Oder war Jaron das auch?
    Ich versuchte mich an die letzten Momente in dem Haus zu erinnern. Da war das Beben gewesen und Lillian, die kaum bei Bewusstsein war. Jaron, der beinahe zu lang gezögert hatte, wem von uns er zuerst helfen sollte. Deutlich sah ich vor mir, wie er Lillian aus dem Haus schaffte, bevor ich neue Schritte gehört hatte – schwere, klackende.
    Und dann war da Schwärze gewesen – und geblieben.
    Fühlte es sich so an, tot zu sein? Konnte es so friedlich sein, so ruhig? War das immer so? Ich hatte mir nie Gedanken darüber gemacht. Wie merkwürdig! Wo ich doch gewusst hatte, dass ich wahrscheinlich nicht einmal graue Haare bekommen würde.
    Wenn das der Tod war, war es gar nicht so schlecht, wurde mir nach einer Weile

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