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Desiderium

Desiderium

Titel: Desiderium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christin C. Mittler
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bewusst. Keine Schmerzen, kein Druck, keine Gefühle, nur Ruhe und Frieden, wiederholte ich immer wieder, wie ein Mantra, das mir von Mal zu Mal besser gefiel.
    Ruhe und Frieden …
    Meine Gedanken drifteten ab, als meine schöne Stille durchbrochen wurde. Ein Stöhnen – leise, kaum wahrnehmbar, aber vorhanden.
    Langsam begann ich meinen Körper wieder zu fühlen. Auch wenn es schwer fiel, öffnete ich die Augen.
    Das E rste, was mir einfiel war, dass ich doch nicht tot war.
    Ich war an einem Ort, der nach Blut, Schweiß und Schimmel stank. Die Wände um mich herum, dunkler Stein, waren modrig feucht. Durch das  kleine Fenster zu meiner Linken fiel ein Strahl Tageslicht herein – man sah nicht mehr als den bewölkten Himmel.
    Obwohl ich nie zuvor hier gewesen war, wusste ich, wo ich mich befand: In einem der beiden Türme der Stadt der Echos.
    Ich hatte diese Information noch nicht verdaut, als mein Blick auf die Wand gegenüber fiel. Mein Herz sackte mir in die Hose:
    Jarons Kopf war zur Seite geneigt, die Augen geschlossen, der Mund dagegen geöffnet; die Ecke eines Schneidezahns war abgebrochen. Arme und Beine waren mit verdreckten, silbernen Ketten an der Wand befestigt worden; sie bohrten sich in sein Fleisch, bis ein Rinnsal Blut hervorquoll.
    Bizarrerweise erinnerte er mich an Jesus am Kreuz.
    »Jaron!«, japste ich.
    Ich musste ihn befreien, uns von hier wegbringen. Aber ich konnte mich nicht bewegen. Ketten, mit denen ich genauso wie er an die Wand gehängt worden war, klirrten. An einer meiner Haarsträhnen, die ich nur aus den Augenwinkeln erkennen konnte, klebte verkrustetes Blut.
    Vermutlich hatte auch ich eine Wunde am Kopf. Aber davon spürte ich ni cht mehr als ein leises Pochen.
    »Jaron!«
    Keine Antwort.
    Dass ich ursprünglich hierher gekommen war, um den Entführer fertigzumachen, schien unendlich weit weg.
    Ich wollte nur noch hier weg.
    »Wach auf!« Erneut zog ich an den Ketten. Als mir das nichts brachte außer schmerzenden Handgelenken, stieß ich einen frustrierten Seufzer aus. »Bitte!«
    Endlich regte er sich. Ein silberner Schimmer blitzte auf, der mich beinahe erleichtert lächeln ließ. Mit klopfendem Herzen beobachtete ich, wie er langsam den Kopf hob.
    »Jaron? Hörst du mich?«
    Ohne den Kopf zu bewegen, wanderten seine Augen orientierungslos umher, bis sie an mir hängen blieben. »Cassim. Au verdammt! Was ist hier los?«
    »Ich hatte gehofft, du könntest mir das sagen«, entgegnete ich.
    Aus Reflex schien er den Kopf schütteln zu wollen, nahm aber recht schnell wieder Abstand von dieser Idee. Ein weiteres, schmerzvolles Geräusch kam aus seiner Richtung. »Was ist mit deiner Stimme?«
    »Was …« Erst jetzt hörte ich das ungesund klingende Pfeifen, das aus meiner Lunge kam. Wie von selbst schnappte ich nach Luft. Mein Brustkorb begann zu schmerzen; ein schmerzhaftes Ziehen, das sich bis in meine Schultern zog. »Nichts, was sich nicht mit ein bisschen Tee wiederherstellen lässt«, erklärte ich mit einem bewusst optimistischen Ton. » Wir sollten lieber überlegen, wie wir hier rauskommen.«
    » Kannst du dich bewegen?« Seine Worte waren leise.
    » Ich bin genauso angekettet wie du.«
    Seine Lippen bewegten sich. Doch die wenigen verständlichen Wortfetzen reichten nicht, um seine Antwort zu verstehen.
    Ich legte den Kopf im Nacken, um die Ketten begutachten zu können. Ich testete, wie eng sie saßen. Das Ergebnis: Sie saßen sehr eng und würden sich nicht einfach so aus der Wand ziehen lassen. Wer auch immer uns gefesselt hatte, war kein Vollidiot gewesen.
    Als ich zu Jaron zurücksah, driftete er wieder in die Ohnmacht. Er reagierte weder auf Rufen noch auf Bitten oder Drohungen.
    Verdammt, verdammt, verdammt! , dachte ich just in dem Moment, als ich zum gefühlt tausendsten Mal an diesem Tag Schritte hörte.
    Schritte – von Schuhen mit einem minimalen Absatz – klackerten auf dem Stein. Sie waren nahe der Tür, die außer dem Fenster den einzigen Ausgang bot. Metall schlug auf Metall – Schlüssel, die klirrten, bevor einer von ihnen unwirsch in das Schloss gesteckt wurde. Die übrigen trafen mehrmals gegen das Holz.
    Meine Fingernägel krallten sich in meine Handfläche. Angst kroch in meinem Körper.
    Die Tür öffnete sich.
    »Darragh!«
    In der Tür stand der oberste Eingeweihte und Jarons bester Freund, durchgeschwitzt, die Haare im Gesicht klebend, aber nicht gefesselt. Und so mit am ehesten in der Lage, uns zu helfen.
    »Ich glaube, ich war nie so froh,

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