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Desiderium

Desiderium

Titel: Desiderium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christin C. Mittler
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untersuchte ich es, da Jaron sich nicht einmal unter die Kuppel traute.
    Kaum war ich unter der Kuppel beschleunigte sich mein Herzschlag. Mein Körper schien sich, weil ich noch Zeit hatte, nicht recht entscheiden zu können, ob ich bleiben oder zurückgehen sollte.
    Nachdem das typische Leuchten abgeklungen und ich meinen Körper vollständig unter Kontrolle hatte, gelang es mir, undeutliche Schemen auf der Oberfläche zu erkennen. Für Sekunden huschten Bilder darüber – aus der Villa, Paris, Deutschland oder von Orten der Sehnsuchtswelt, die ich kannte.
    »Hast du irgendetwas gefunden?« , rief Jaron vom Eingang aus. Seine grauen Augen, dir mir an diesem Tag ohne den Schleier entgegen leuchteten, warfen mir einen zögernden Blick zu.
    »Dunkelheit«, erwiderte ich wahrheitsgemäß. Bis auf das Portal war es stockdunkel wie in meinem Traum. »Ansonsten bin ich noch nicht sehr weit gekommen, schließlich arbeite ich alleine. Klein Jaron hat ja Angst im Dunkeln. Also bleib schön draußen, bevor das große, böse Portal dich verschluckt«, zog ich ihn auf.
    Jaron protestierte, gab sich dann jedoch geschlagen und verschwand zurück in den Nieselregen, während ich mich wieder dem Portal zuwandte.
    Aber auch ohne dass er mich ablenkte, fand ich nichts außer ein paar Zeichen, die in den Rahmen eingeritzt worden waren.
    In diesem Moment wäre eine Kamera nützlich gewesen, irgendein Mi ttel, um ein Foto machen zu können.
     
    Nr. 4:  Alles, was diese Welt verbildlichen könnte, wird bei der Rückkehr nach spätestens fünf Stunden  unbrauchbar sein.
     
    Selbst wenn ich eine Kamera mitbringen und Fotos machen würde, sie wären verschwunden, bevor ich zurückkehrte; der Speicher würde leer sein.
    Unter Anstrengung entfernte ich mich vom Portal, kleine Schritte, ke ine zu hastigen Bewegungen. »Jaron«, rief ich dann. »Du kannst unter Beweis stellen, dass dein Verbundener eine Schwäche für Kunst hat.« Meine eigenen Künste gingen nicht weit über Strichmännchen hinaus.
    Wir setzten uns unter die nächsten Bäume, die uns vor dem Regen schützten. Dennoch klebte mein Oberteil von der kurzen Strecke unter freiem Himmel an meinem Körper. Ich tat so, als würde ich Jarons Bl icke auf mein angefeuchtetes Dekolleté nicht bemerken.
    Was wohl seine Freundin dazu sagen würde?
    Aus der Tasche, die ich an diesem Morgen statt Monsieur Belliers mitgebracht hatte, holte ich einen leeren Zeichenblock. Ich wollte es damit versuchen; Zeichnungen hielten sich angeblich immerhin fünf Stunden, ehe sie verschwanden.
    »Eigentlich male ich. Also kann ich es versuchen, aber nichts verspr echen«, bedachte er. »Kommt darauf an, wie gut du beschreiben kannst.«
    Ich legte den Kopf schief. »Du malst?!«
    Wie jedes Mal, wenn er sich von mir angegriffen fühlte, verdüsterte sich sein Blick. Der Kritikfähigste war er nicht gerade. »Hast du was dagegen? Wenn ja, kannst du gerne allein versuchen, hier fertig zu werden.«
    Beschwichtigend hob ich die Arme.
    Ich versuchte Jaron so genau wie möglich zu beschreiben, was ich gesehen hatte. Jeden einzelnen Schwung, jede Kante, jeder Schatten. »Das hier war geschwungener«, sagte ich einmal und tippte auf die untere Ecke. »S- förmig, ja, genau so.« Ein anderes Mal wies ich ihn darauf hin, dass eins von ihnen länger sein musste. »Es hatte Ähnlichkeit mit einem Fingerabdruck. Als hätte jemand in das flüssige Material gepackt, bevor es weiterverarbeitet wurde.«
    So ungern es mein Stolz zugab, er hatte durchaus Talent. Es sah profe ssionell aus, wie er die feinen Linien und die Schattierungen auf das Blatt brachte. Er übernahm das, was ich gesehen hatte, beinahe perfekt; er ließ es echt und lebendig wirken, als könnten sie sich jeden Augenblick bewegen.
    Irgendwann, als ich ihm etwas auf dem Blatt zeigen wollte, geschah es, dass meine Hand seine streifte. Dieses Mal war es kein Strom, der durch meinen Arm zu strömen schien, mehr ein unangenehmes Zwicken.
    Jaron zog seine Hand zurück, sie zuckte unkontrolliert, der Stift fuhr über das Blatt und hinterließ einen dunklen Strich über einen Teil der Zeichnung.
    »Das ist wirklich lästig«, meckerte er, nahm sich den Radiergummi und machte sich daran, den Schaden zu beheben.
    Das nächste Mal sah er mich an, als wir fertig waren . »Du hast recht. Es sieht aus wie Fingerabdrücke. Manches davon wie Kratzspuren. Vielleicht interpretieren wir zu viel hinein, es könnten einfach Spuren der letzten Jahrhunderte sein. Ich meine, wie

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