Desire - Die Zeit Der Rache Ist Gekommen
Trauer würde ihren Glauben nicht überschatten, ihre Furcht war nicht stärker als ihr Mut. Sie, die Magd des Herrn, würde sie besiegen.
Trotzdem zitterte ihre Hand, als sie nach dem Hörer griff und die Nummer von St. Elsinore wählte. Obwohl es noch keine sieben Uhr war, nahm jemand den Hörer ab, wahrscheinlich, weil heute Abend die Wohltätigkeitsauktion stattfand, die seit über einem Jahr geplant war.
Als sie endlich zu Schwester Georgia durchgestellt wurde, zwang sie sich, ein paar Höflichkeitsfloskeln zu murmeln, und rief sich das Bild der Klostervorsteherin von St. Elsinore vor Augen, die keinen Wimpel, keinen Schleier, kein Habit trug. Schwester Georgia war eine moderne Frau, eine Nonne, die mit beiden Füßen auf dem Boden des einundzwanzigsten Jahrhunderts stand und dennoch tief in ihrem Herzen konservativ und so fest in ihren Glaubensstrukturen verankert war wie Schwester Charity.
Was nicht anders zu erwarten gewesen war.
Schließlich hatten sie ihre Lektionen von Schwester Ignatia gelernt, als sie zusammen im Waisenhaus von St. Elsinore lebten. Georgia und Charity waren beide hinter den Mauern großgeworden, die nun, nach fast zweihundert Jahren, dem Abriss anheimgegeben wurden.
Was für ein Jammer.
»Also, was kann ich für dich tun?«, fragte Georgia, nachdem sie mit ihrer Aneinanderreihung von Plattitüden am Ende waren.
»Ich möchte mit Vater Thomas sprechen«, sagte Charity und wappnete sich gegen einen Kampf. Sie und Georgia waren wie konkurrierende Schwestern, die stets versuchten, die andere zu übertreffen.
»Er ist im Augenblick nicht da, aber ich richte ihm gern etwas aus.«
Darauf wette ich.
»Ist er denn überhaupt jemals da?«, fragte Charity. Es gelang ihr nicht, die Schärfe aus ihren Worten zu halten.
»Er ist ein vielbeschäftigter Mann. Die Arbeit des Herrn ist niemals getan.«
»Nun, dessen bin ich mir durchaus bewusst«, erwiderte Charity und beschloss, Georgia zu erzählen, was passiert war. »Ich hoffe, er wird in Erwägung ziehen, die Auktion zu verschieben«, fing sie an, wohl wissend, dass sie etwas nahezu Unmögliches verlangte. »Wir haben hier in St. Marguerite eine … schwierige Situation. Eine weitere Novizin ist verschwunden … nun, eigentlich sind es zwei, und in Anbetracht dessen halte ich es für despektierlich, irgendwelche Festivitäten zu veranstalten.«
Es entstand eine lange Pause, dann war am anderen Ende der Leitung ein Seufzen zu vernehmen. »Ich verstehe«, sagte Georgia überraschend entgegenkommend, »aber es ist viel zu spät. Die Einladungen sind längst verschickt, die Karten verkauft, der Ballsaal des Hotels ist gebucht, der Catering-Service und die Gemeindefrauen haben alles in Gang gesetzt, um die Erfrischungen und das Menü vorzubereiten. O Charity, wir wissen doch beide, wie Vater Thomas’ Antwort ausfallen wird. Es tut mir leid«, sagte sie.
»Mir auch, Georgia.« Es gab keinen Grund, das Thema weiter zu verfolgen – Georgia hätte sie ohnehin abgewimmelt, bevor sie mit ihrer Bitte zu Vater Thomas hätte vordringen können. Wusste der Himmel, wo er steckte.
»Ich bin mir nicht sicher, ob der Chor heute Abend auftreten kann.«
»Natürlich tritt er auf! Um der verlorenen Schwestern willen. Um des heiligen Vaters willen. Ich weiß, dass diese Zeit sehr schwer für dich ist, Charity, aber bei dieser Auktion geht es um den Ort, den wir so lange Zeit unser Zuhause genannt haben. Selbst Schwester Ignatia, gesegnet sei sie, wird daran teilnehmen. Vater Thomas wird ihren Rollstuhl schieben.«
Wie alt mochte Schwester Ignatia, die Frau, die sie großgezogen und terrorisiert hatte, heute sein? Fünfundneunzig? Hundert? Womöglich noch älter. Vor sechzig Jahren war sie eine unglückliche Frau um die vierzig gewesen, und die Jahre hatten ihrem sauertöpfischen, zur Grausamkeit neigenden Charakter sicher nicht gutgetan.
Charitys Ansicht nach hatte Schwester Ignatia die Kinder mehr in Angst und Schrecken versetzt, als dass sie gut zu ihnen war.
»Es wird großartig werden«, seufzte Georgia, als handelte es sich um ihren Debütantinnenball.
»Wenn du meinst«, flüsterte Charity, die nicht einen Augenblick daran glaubte.
»Du wirst schon sehen.«
Schwester Charity atmete tief durch und legte auf. Dann rieb sie schweren Herzens mit den Fingern über die glatte, abgenutzte Oberfläche ihres Schreibtischs.
Warum wurde sie derart auf die Probe gestellt?
Sie schaute auf das Kruzifix an der Wand über der Tür. Jesus, geschnitzt
Weitere Kostenlose Bücher