Desire - Die Zeit Der Rache Ist Gekommen
bevorstand, würde nicht leichtwerden. Im Gegenteil.
Valerie schloss den Subaru ab und eilte bei Rot über die Straße auf das hoch aufragende Bauwerk aus Stein und Ziegeln zu, dessen Kirchtürme sich bis in den Himmel hinein zu erheben schienen. Der Hauptteil der Kathedrale war über zweihundert Jahre alt und hatte Kriege, Stürme und Skandale überstanden. Umgeben von ausgedehnten Außenanlagen und knorrigen Lebenseichen, bewacht von einem schmiedeeisernen Zaun und trutzigen Mauern, gemahnte St. Marguerite an vergangene Zeiten, in denen der Orden eine abgeschottete Gemeinschaft gewesen war, eine Welt für sich.
Nachrichten-Vans standen nicht in der Straße, und falls die Polizei sich noch auf dem Gelände befand, so konnte Val keines ihrer Fahrzeuge entdecken. Allerdings waren die gewaltigen Türen zur Kathedrale mit gelbem Polizeiband abgesperrt, und der zertrampelte Boden in den Außenanlagen war Beweis dafür, dass gestern Nacht Hunderte von Füßen zur ersten Beweisaufnahme im Mordfall Camille Renard hier herumgestapft waren.
Cammie.
O Gott.
Valerie folgte dem schmiedeeisernen Zaun durch eine Seitengasse, die zu einem Tor führte, das Cammie einmal erwähnt hatte: ein Eingang, der Lieferwagen vorbehalten war und der nur von den wenigen Nonnen, die ab und an den Konvent verließen, benutzt wurde.
Der Eingang befand sich neben einer einzeln stehenden Eiche und war fest verschlossen.
Ein unheimliches Gefühl überkam Val, ein Hauch, bei dem sich ihre Nackenhärchen sträubten und der sie nach oben zu den dunklen Fenstern des Gebäudes blicken ließ. Wie seelenlose Augen schienen sie auf sie herabzustarren, als wollten sie ihren Mut herausfordern.
Ein Rabe schlug mit seinen schwarzen Flügeln und krächzte, bevor er auf einem Wasserspeier landete, der geformt war wie ein knurrender Dämon, doch Val redete sich ein, dass das kein böses Omen war.
Nur ein Zufall, ein Bild wie aus einem der vielen Horrorfilme, die sie als Kind erschreckt hatten.
Genau wie das Monster mit den glühenden Augen und den winzigen Zähnen, das dich in deinen Alpträumen heimsucht?
Sie gab sich einen inneren Ruck, suchte nach der Klingel und drückte darauf.
Während sie wartete, versuchte sie, das Gefühl zu ignorieren, dass sie von versteckten Augen beobachtet wurde.
Niemand reagierte auf ihr Läuten.
»Nun kommt schon«, murmelte sie und drückte erneut fest auf die Klingel. »Hallo! Ist da jemand?«, rief sie schließlich.
Wieder wartete sie und spürte, wie eine leichte Brise durch die Seitengasse hinter ihr strich und kühl in ihren Nacken hauchte. Sie drehte den Kopf, sicher, jemanden zu entdecken, der sie von der gegenüberliegenden Seite der schmalen Gasse aus anstarrte.
Doch da war niemand.
Keine Menschenseele.
Nicht einmal eine Katze strich um die Mülltonnen, die vor den Gebäuden standen. Sie war ganz allein. Aus der Ferne drangen die Geräusche der Stadt zu ihr herüber. Valerie kniff die Augen zusammen und schaute an den steilen Giebeln und Türmchen der alten Anlage hinauf, aber niemand lauerte in den Schatten, kein verborgenes Augenpaar folgte ihren Bewegungen. Der Kiesweg, der die Gebäude auf der anderen Seite des Zauns miteinander verband, war leer.
Und trotzdem …
Ihre Haut kribbelte.
Der Wind fuhr durch die Blätter der Eiche und warf zuckende Schatten, als wäre ein Geist vorübergehuscht.
Valerie bekam Gänsehaut, obwohl die Temperatur bei über sechsundzwanzig Grad lag. »Nun macht schon«, drängte sie erneut und drückte ein drittes Mal auf die Klingel.
Binnen einer Minute eilte eine schlanke Afroamerikanerin in Nonnentracht auf das Tor zu. Valerie beobachtete sie durch die schwarzen Gitterstäbe.
»Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte die Nonne. Sie war groß und hatte ein majestätisches Auftreten. Mit einem geduldigen Lächeln spähte sie durch den schmiedeeisernen Zaun. »Ich hoffe, Sie mussten nicht allzu lange warten. Ich bin Schwester Zita.«
Zita. Bei dem Namen klingelte etwas. Hatte Cammie nicht erwähnt, sie und Zita würden gemeinsam mit einer weiteren Nonne, Schwester Louise, in der Gemeinde von St. Elsinore arbeiten?
»Ich würde gern mit Vater O’Toole sprechen, und der Haupteingang zur Kathedrale ist abgesperrt«, erklärte Val, dann fügte sie hinzu: »Ich bin Valerie Renard, Camilles Schwester.«
»Mein herzliches Beileid«, wünschte Schwester Zita, doch sie machte keine Anstalten, das Tor zu öffnen. Ein Anflug von Misstrauen stand in ihren dunklen Augen, als
Weitere Kostenlose Bücher