Desire - Die Zeit Der Rache Ist Gekommen
Schwester Lucy mit angehört.«
Die Falten in seinem Gesicht vertieften sich. »Ich hoffe, Sie irren sich«, sagte er und lächelte schwach. »Ich gebe nicht allzu viel auf Tratsch.«
Er blickte auf die Uhr. Sie verstand seinen Wink. Vater Paul war ein beschäftigter Mann. Und er ließ sie im Stich, steckte den Kopf in den Sand, hoffte wieder einmal, dass sie das Chaos schon richten werde. »Ich spreche mit Vater Frank«, sagte er mit gütiger Stimme, als würde ein Gespräch irgendetwas an »der Situation«, wie er die Lage so emotionslos umschrieb, ändern.
Schwester Charity schäumte innerlich vor Zorn, als sie sein Büro verließ. Verstand er nicht, welche Tragweite der Mord an Schwester Camille hatte? Was das für Auswirkungen auf St. Marguerite haben würde? Natürlich nicht. Wann immer in der Vergangenheit irgendeine »Situation« eingetreten war, hatte sie sich darum gekümmert.
Schwester Charity eilte durch den Bogengang zwischen den Unterkünften der Priester und ihrem geliebten Konvent. Mit einem Finger strich sie über die alten Mauern, die aus mehr denn Stein und Mörtel bestanden. Jahre, nein Jahrhunderte der Geschichte waren in die Mauern dieses Klosters eingeschrieben, und wenn sie sich bemühte, konnte sie beinahe die Liebe, die Entschlossenheit und das Leid derjenigen spüren, die vor ihr durch diese Gänge geschritten waren, Gänge, die Hurrikans, Überschwemmungen und politischem Wahnsinn standgehalten hatten.
Sie erreichte das andere Ende des Durchgangs und schlug die Richtung zu ihrem Büro ein, als sie plötzlich ihren Namen hörte.
»Mutter Oberin!«, rief Schwester Zita leise. Sie hatte eine klangvolle Stimme, und ihr Ordensgewand verbarg nicht ihre hochgewachsene, geschmeidige Gestalt. Ihre Haut besaß einen warmen Mokkaton, ihre Augen sprühten vor Intelligenz, und sie hatte Charity nie auch nur eine Sekunde Kummer bereitet.
»Ja, mein Kind?« Die Klostervorsteherin lächelte freundlich.
»Ich habe mich gefragt, wie es bei St. Elsinore weitergehen soll«, sagte sie traurig. »Schwester Camille und ich haben zusammen im Waisenhaus gearbeitet, seit Schwester Lea fort ist, und jetzt …« Sie drehte die Handflächen nach oben.
»Ich verstehe.« Charity nickte. »Es ist nach Schwester Camilles Tod so manche Lücke zu füllen. Warum fragen Sie nicht Schwester Maura oder Schwester Lucy, vielleicht auch Schwester Edwina, ob sie Sie begleiten können?« Charity lächelte Schwester Zita ermutigend an. »Auch wenn das Waisenhaus umzieht, werden wir den Schwestern von St. Elsinore zur Seite stehen, dafür werde ich schon sorgen. Und jetzt kommen Sie mit mir.«
Sie führte die große Frau zu ihrem Büro. Als sie eingetreten waren und Charity die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, setzte sie sich an ihren Schreibtisch, schloss eine große Schublade auf und entnahm ihr den Einsatzplan für die Nonnen. Wie Zita richtig bemerkt hatte, war Schwester Camille für den morgigen Tag im Waisenhaus von St. Elsinore eingeteilt, das in der Nähe von Slidell lag. Um dorthin zu gelangen, musste man von New Orleans aus über den Lake Pontchartrain Causeway, die vierzig Kilometer lange Doppelbrücke über den Lake Pontchartrain, fahren. Charity liebte St. Elsinore und fand es ganz entsetzlich, dass das altehrwürdige Waisenhaus seine Pforten schloss, aber der Umzug war eine bereits abgemachte Sache und schon in vollem Gange.
»Lassen Sie mich mal sehen … Ja, entweder Maura oder Devota, eine von beiden sollte zur Verfügung stehen. Sie arbeiten beide ziemlich regelmäßig dort. Lucy … nun, das muss nicht sein. Sie hat in den letzten vierundzwanzig Stunden genug durchgemacht.«
»Ich werde mit den beiden reden«, sagte Zita.
»Gut«, erwiderte die Mutter Oberin, dann fügte sie automatisch hinzu: »Gott segne Sie, mein Kind.«
Zita verließ das Büro, und wieder einmal war Schwester Charity allein mit dem Bild des amtierenden Papstes und Jesus am Kreuz. Es waren turbulente Zeiten, in vielerlei Hinsicht. Sehr viel früher, als sie eine junge Novizin gewesen war, vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil, war alles so viel leichter zu verstehen gewesen. Vieles war rigide gewesen, ja, aber es gab keine verwischten Grenzen, man wusste klipp und klar, was von einem erwartet wurde.
Jetzt dagegen hatte es den Anschein, als sei gar nichts mehr klar.
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Kapitel fünfzehn
E s bestand keine Chance, dass Val zum normalen Alltag zurückkehren konnte.
Nichts wird je wieder normal sein,
nörgelte ihre
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