Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Desperation

Desperation

Titel: Desperation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
ein
Baby im Kinderstuhl. Die Frau trug noch die Schürze, in der
sie das Essen gekocht hatte. Das Baby trug ein Lätzchen, auf
dem stand: ICH BIN JETZT EIN GROSSER JUNGE. Er hing
schief hinter seinem Tablett, auf dem mehrere vertrocknete
Orangenscheiben lagen. Das Baby betrachtete Cynthia mit
einem erstarrten Grinsen. Sein Gesicht war purpurrot. Seine
Augen quollen aus aufgedunsenen Höhlen wie Glasmurmeln. Seine Eltern waren gleichermaßen aufgedunsen. Cynthia konnte mehrere Löcherpaare im Gesicht des Mannes sehen, kleine, wie Nadelstiche von Spritzen, ein paar seitlich auf
der Nase.
Mehrere große Klapperschlangen waren auf dem Tisch,
krochen ruhelos zwischen den Schüsseln herum und rasselten
mit den Schwänzen. Vor Cynthias Augen bauschte sich die
Schürze der Frau. Einen Augenblick dachte Cynthia, sie wäre
trotz des purpurroten Gesichts und der glasigen Augen noch
am Leben; sie würde atmen, doch dann kam ein dreieckiger
Schlangenkopf zwischen den Rüschen hervor, und Augen wie
schwarze Schrotkörner sahen sie an.
Die Schlange machte den Mund auf und zischte. Ihre Zunge
tanzte.
Und es waren noch viel mehr. Schlangen auf dem Boden
unter dem Tisch krochen über die Schuhe des toten Mannes.
Schlangen in der Küche - sie konnte eine riesengroße sehen,
eine Diamantklapperschlange, die unter dem Mikrowellenherd über die Resopalarbeitsplatte kroch.
Die Schlangen auf dem Boden kamen auf sie zu, und zwar
schnell.
Lauf! schrie sie sich selbst an und stellte fest, daß sie sich
nicht bewegen konnte - es war, als wären ihre Schuhe auf dem
Boden festgeklebt. Sie haßte Schlangen mehr als alle anderen
Lebewesen; sie ekelte sich auf eine ganz grundlegende Weise
vor ihnen, die sie weder artikulieren noch begreifen konnte.
Und dieses Haus war voll davon, hinter ihnen konnten noch
mehr lauern, zwischen ihnen und der Tür
Steve packte sie und riß sie nach hinten. Als er sah, daß sie
nicht laufen konnte, hob er sie hoch und lief mit ihr auf den
Armen den Flur entlang und hinaus in die Nacht: Er trug sie
über die Schwelle und in die Dunkelheit hinaus wie ein
Bräutigam in Gegenrichtung.
5
    »Steve - Steve - hast du gesehen -«
Die Tür auf ihrer Seite des Wagens stand noch offen. Er warf
sie hinein, schlug die Tür zu, rannte auf seine Seite und stieg
ein. Durch die Windschutzscheibe schaute er auf das helle
Rechteck des Lichts, das zur offenen Tür des Hauses herausfiel, dann auf sie. Seine Augen über dem Taschentuch waren riesengroß.
»Klar hab ich es gesehen«, sagte er. »Jede Schlange im ganzen Scheiß-Universum, und alle sind auf uns zugekommen.«
»Ich konnte nicht laufen … Schlangen machen mir solche
Angst… tut mir leid.«
»Es war meine Schuld, daß wir überhaupt da reingegangen
sind.« Er legte den Rückwärtsgang ein, fuhr holpernd aus der
Einfahrt und wendete, so daß die Front des Kleinbusses nach
Osten zeigte, zu den umgestürzten Fahrrädern, dem umgelegten Stück Zaun und der tanzenden, blinkenden Ampel.
»Wir fahren so verdammt schnell zum Highway 50 zurück,
daß dir schwindlig wird.« Er sah sie erschrocken und verwirrt
zugleich an. »Sie waren da, oder nicht? Ich meine, ich habe es
mir nicht nur eingebildet - sie waren da.«
»Ja. Schlangen, Klapperschlangen. Sie waren da. Los doch, Steve, gib Gas.«
Er gehorchte und fuhr schneller, aber nicht so schnell, daß
es gefährlich gewesen wäre. Sie bewunderte seine Selbstbeherrschung, besonders wo er so offensichtlich von den
Socken war. An der Ampel bog er nach links ab und fuhr nach
Norden, in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
»Mach das Radio an«, sagte er. »Such uns etwas Musik. Sogar Country wäre mir recht. Nur keine Herz-Schmerz-Lieder.
Irgendwo muß Schluß sein.«
»Okay.«
Sie beugte sich nach vorne zum Armaturenbrett und sah
dabei in den Seitenspiegel an ihrem Fenster. Einen Augenblick
glaubte sie, da hinten ein Licht zu erkennen, das im Kreis geschwenkt wurde. Es hätte eine Taschenlampe sein können,
aber auch eine seltsame Spiegelung, die von der tanzenden
Ampel auf das Glas geworfen wurde oder nur eine Ausgeburt
ihrer Phantasie. Sie zog es vor, an die letzte Möglichkeit zu
glauben. In jedem Fall war es bereits wieder verschwunden,
von dem Sandsturm erstickt. Sie überlegte, ob sie es Steve sagen sollte, entschied sich aber dagegen. Sie glaubte nicht, daß
er umkehren würde, um der Sache nachzugehen. Ihrer Meinung nach war er inzwischen ebenso verstört wie sie selbst,
aber man tat gut daran, nie die Fähigkeit eines Mannes

Weitere Kostenlose Bücher