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Desperation

Desperation

Titel: Desperation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Scheibenwischer ein, und einer schob den
zerquetschten Geier auf die äußeren Lüftungsrillen. Dort lag
er als Klumpen, ein bizarrer Tumor mit einem Schnabel. Der
andere Scheibenwischer schmierte Blut und Federn
fächerförmig über die Scheibe. Sofort blieb Sand in der Schweinerei kleben. Steve drückte den Knopf der Waschanlage. Im oberen
Teil wurde die Windschutzscheibe ein wenig sauberer, aber
die untere Hälfte war hoffnungslos; der Klumpen des toten
Tiers machte es dem Wischer unmöglich, den unteren Rand
der Scheibe zu erreichen.
»Steve«, sagte sie. Sie hörte, wie die Worte aus ihrem Mund
kamen, konnte sie aber nicht spüren; ihre Lippen waren taub.
Und ihre Leibesmitte schien sich völlig verflüchtigt zu haben.
Keine Leber, keine Lungen, nur eine leere Stelle, in der ihr
eigener pfeifender Sturm tobte. »Unter dem Wohnwagen. Sie
kommen unter dem Wohnwagen hervor. Siehst du sie?«
Sie zeigte. Er sah. Der Sand war von Osten nach Westen in
dünnen Linien, die wie tastende Finger aussahen, über den
Asphalt geweht worden. Wenn der Sturm so weitermachte,
würden aus diesen kleinen Dünen dicke Arme werden, aber
momentan waren es nur Finger. Wie die Vorhut einer vorrückenden Armee kam ein Bataillon Skorpione mit aufgerichteten Stacheln unter dem Wohnwagen hervor und marschierten über die Sandfinger hinweg. Sie konnte nicht sagen, wie
viele es waren - wie sollte sie, wo sie doch noch Schwierigkeiten hatte, überhaupt zu glauben, was sie da sah. Wahrscheinlich weniger als hundert, aber trotzdem Dutzende. Dutzende.
Außerdem glitten Schlangen mit S-förmigen Kriechbewegungen hinter ihnen und zwischen ihnen; sie überwanden die
Sanddünen so mühelos wie Mokassinschlangen einen Teich,
durch den sie schwammen.
Sie können hier nicht rein, sagte sie sich, beruhige dich, sie können hier nicht rein!
Nein, aber vielleicht wollten sie das gar nicht. Vielleicht sollten sie es gar nicht. Vielleicht sollten sie
Ein neuerliches krachendes Knirschen ertönte, diesmal auf
ihrer Seite des Wagens, und sie beugte sich zu Steve, schnellte zu Steve hinüber und hob den rechten Arm, um ihr Gesicht zu
schützen. Der Geier prallte gegen das Beifahrerfenster wie
eine mit Blut statt Sprengstoff gefüllte Bombe. Das Glas
wurde milchig und wölbte sich ihr entgegen, hielt aber vorerst noch stand. Ein Flügel des Geiers flatterte kläglich auf der
Windschutzscheibe. Der Scheibenwischer auf ihrer Seite riß
ein Stück davon ab.
»Schon gut!« schrie er, lachte fast und legte einen Arm um
sie, während er ihren Gedanken wiederholte. »Schon gut, sie
können hier nicht rein!«
»Doch, sie können!« rief sie zurück. »Die Vögel können es,
wenn wir hierbleiben! Wenn wir ihnen genügend Zeit lassen!
Und die Schlangen … die Skorpione …«
»Was? Was willst du sagen?«
»Könnten sie Löcher in die Reifen machen?« Vor ihrem geistigen Auge sah sie das Wohnmobil mit seinen platten Reifen … das Wohnmobil und den Mann im Ranchhaus, sein
purpurfarbenes Gesicht, das von paarweisen Löchern perforiert war, so kleinen Löchern, daß sie fast wie winzige Partikel
Cayennepfeffer aussahen. »Das könnten sie, nicht? Wenn genug von ihnen gleichzeitig stechen und beißen, dann könnten sie es.«
»Nein«, sagte er und stieß ein seltsam kläffendes kurzes Lachen aus. »Klitzekleine Wüstenskorpione, zehn Zentimeter
lang, Stachel kaum größer als Dornen, soll das ein Witz sein?«
Aber dann ließ der Wind vorübergehend nach, und sie hörten
unter sich
- schon unter sich - wuselnde, schabende Laute,
und sie sah etwas, worauf sie gerne verzichtet hätte: Er
glaubte nicht, was er sagte. Er wollte es glauben, glaubte es
aber nicht.
Kapitel 4
1
    Das Handy lag auf der anderen Seite des Zellentrakts vor
einem Aktenschrank mit einem RUSH LIMBAUGH FOR
PRESIDENT-Aufkleber darauf. Das Gerät sah nicht aus, ab
wäre es kaputt, aber
Johnny zog die Antenne heraus und klappte es auf. Das
Telefon piepste und das S erschien, gut, aber keine Empfangsbalken, schlecht. Sehr schlecht. Trotzdem mußte er es versuchen. Er drückte auf die NAME/MENU-Taste, bis STEVE
aufleuchtete, dann drückte er auf die SEND-Taste.
»Mr. Marinville.« Es war Mary, die im Türrahmen stand.
»Wir müssen gehen. Der Cop -«
»Ich weiß, ich weiß, nur einen Augenblick noch.«
Nichts. Kein Läuten, keine Tonbandstimme, kein Empfang.
Nur ein ganz leises, hohles Rauschen, wie man es in einer Muschel hören konnte.
»Im Arsch«, sagte er und klappte die Sprechmuschel des Telefons zu. »Aber

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