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Desperation

Desperation

Titel: Desperation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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nicht erinnern, es gemalt zu
haben - vermutlich ein Blackout
-, aber es war zweifellos
sein Werk, und nicht mal übel. Ihm gefiel, daß es wütend
und frei zugleich aussah, als wäre es aus einer anderen Welt
gekommen, wo Göttinnen noch ohne Sattel ritten und bei
ihren tollkühnen Ausflügen manchmal ganze Meilen übersprangen.
Plötzlich klärten sich seine Erinnerungen ein wenig, als
hätte das Bild an der Wand seinen Verstand geöffnet. Sally, ja.
Vor einem Jahr, mehr oder weniger. Die Gerüchte, daß die
Mine wieder geöffnet werden sollte, kristallisierten sich gerade zu Fakten. Autos und Lastwagen standen auf dem
Parkplatz der Nissen-Hütte, die der Bergbaugesellschaft als
Hauptquartier diente; Flugzeuge landeten auf der Rollbahn
südlich der Stadt, und man hatte ihm eines Nachts - genau
hier, im American West, bei einem feuchtfröhlichen Zusammentreffen der Jungs
- gesagt, daß eine Geologin im alten
Haus der Riepers wohnte. Jung. Alleinstehend.
Angeblich
hübsch.
Billingsley mußte pinkeln, das war nicht gelogen gewesen,
aber es war im Augenblick auch nicht sein dringendstes
Bedürfnis. Ein schmutziger blauer Lappen lag in einem der
Waschbecken, wie man ihn nur in den allerdringendsten Fällen ohne Zange anfassen würde. Der alte Tierarzt hob ihn
hoch, zum Vorschein kam eine Hasche Satin Smooth, und
wenn jemals billiger Fusel in Raschen gefüllt worden war,
dann dieser … aber ein sicherer Hafen im Sturm.
Er drehte den Verschluß auf, dann nahm er die Flasche in
beide Hände, weil sie so zitterten, und trank einen großen,
kräftigen Schluck. Napalm rann seine Kehle hinab und explodierte in seinem Magen. Es brannte, das stimmte, aber wie
hieß es in dem Song von Patty Loveless, den sie andauernd im
Radio spielten? Hurt me, Baby, in a real good way.
Er ließ dem ersten Schluck einen kleineren folgen (er hielt
die Flasche jetzt weniger fest; das Zittern hatte nachgelassen),
dann schraubte er den Verschluß wieder zu und legte die Flasche zurück ins Waschbecken.
»Sie hat mich gerufen«, murmelte er. Vor dem Fenster
zuckte das Pumaweibchen mit den Ohren, als es seine
Stimme hörte. Es duckte sich ein wenig tiefer und wartete
darauf, daß er näher zu ihr kam, näher zu der Stelle, wohin
ihr Sprung sie führen würde. »Die Frau hat mich angerufen.
Und gesagt, daß ihr Pferd eine drei Jahre alte Stute namens
Sally ist. Ja, Sir.«
Er breitete den Putzlappen wieder über die Flasche, ohne
darüber nachzudenken, er versteckte sie aus Gewohnheit,
während er in Gedanken bei jenem Tag im vergangenen
Sommer war. Er war zum Haus der Riepers gefahren, einem
hübschen Lehmziegelgebäude oben in den Bergen, und ein
Bursche von der Mine - der Schwarze, der später im Empfangsbüro saß - hatte ihn zu dem Pferd gebracht. Er sagte,
Audrey hätte gerade einen dringenden Anruf bekommen und
müsse zum Hauptsitz der Firma in Phoenix fliegen. Auf dem
Weg zum Stall hatte der schwarze Bursche Billingsley über die
Schulter gesehen und gesagt…
»Er sagte: >Da haben wir sie ja<«, sagte Billingsley. Er hatte
den Lichtstrahl wieder auf das galoppierende Pferd an
der Wand gerichtet und betrachtete es mit geweiteten
Augen, in denen Erinnerung aufblitzte, worüber er seine
Blase zwischenzeitlich vergaß. »Und er hat hinter ihr hergerufen.«
Ja, Sir. Hi, Audi hatte er gerufen und gewunken. Sie hatte
zurückgewunken. Billingsley hatte ebenfalls gewunken und
gedacht, daß die Geschichten zutreffend waren: Sie war jung
und sie sah gut aus. Nicht so umwerfend wie eine Filmdiva,
aber erste Sahne für eine Ecke der Welt, wo keine alleinstehende Frau ihre Drinks selbst bezahlen mußte, wenn sie
nicht wollte. Er hatte ihr Pferd behandelt, hatte dem Schwarzen eine Salbe zum Einreiben für das Tier gegeben, und sie
war später vorbeigekommen, um neue zu kaufen. Marsha
hatte ihm das erzählt; er war in der Nähe von Washoe gewesen und hatte nach einem kranken Schaf gesehen. Seitdem
hatte er sie öfter in der Stadt gesehen. Nicht mit ihr geredet,
nein, Sir, höchst selten, sie verkehrten nicht in denselben Kreisen, aber er hatte sie im Anders Hotel oder im Owl’s essen sehen, einmal sogar im Jailhouse in Ely; er hatte sie mit anderen
Leuten vom Bergwerk im Bud’s Suds oder im Drum trinken
sehen, wo sie Würfel aus einem Becher rollen ließen, um zu
bestimmen, wer zahlte; im Worrel’s Market, wo sie Lebensmittel einkaufte, an der Conoco-Tankstelle, wo sie tankte, und
einmal im Eisenwarenladen, wo sie eine Dose Farbe und
einen Pinsel gekauft

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