Desperation
der Ferne ein Flugzeug hören konnte
- normale
Menschen, die schliefen, aßen oder U. S. News and World Report lasen, auf dem Weg zu einem normalen Ziel -, aber das
war alles.
Selbstverständlich war es Johnny, der das Schweigen unterbrach, und obwohl er sich so selbstsicher wie immer anhörte,
hatte er einen Ausdruck in den Augen (einen verschlagenen Ausdruck), der Steve nicht besonders gefiel. Er war der Ansicht, daß ihm Johnnys irrer Ausdruck besser gefiel: die
großen Augen und das ängstliche Clyde-Barrow-Grinsen, als
er dem Puma die Schrotflinte an den Kopf gehalten und abgedrückt hatte. Daß ein bauernschlauer Desperado in Johnny
schlummerte, wußte Steve nur zu genau - er hatte Spuren dieses Burschen schon am Anfang dieser Tour gesehen und
wußte, daß Bill Harris genau an diesen Desperado gedacht
hatte, als er an jenem Tag in Jack Appletons Büro seine fünf
Gebote aufstellte
-, aber Clyde Barrow schien sich verzogen
und an seiner Stelle den anderen Marinville zurückgelassen
zu haben, den mit den sardonisch hochgezogenen Brauen
und der aufgeblasenen William-Buckley-Rhetorik.
»Du sprichst, als ob wir alle denselben Gott hätten, David«,
sagte er. »Ich will dich nicht bevormunden, glaube aber, daß
das schwerlich der Fall sein dürfte.«
»Aber es ist der Fall«, entgegnete David gelassen. »Verglichen mit Tak, würden Sie und ein Kannibalenhäuptling denselben Gott haben. Sie haben die can tahs gesehen, das weiß
ich. Und sie haben gespürt, was sie anrichten können.«
Johnnys Mundwinkel zuckten
- was darauf hindeutete,
dachte Steve, daß er einen Treffer eingesteckt hatte, es aber
nicht zugeben wollte. »Vielleicht ist das so«, sagte er, »aber die
Person, die mich hierhergebracht hat, war mit Sicherheit nicht
Gott. Es war ein großer blonder Polizist mit einer empfindlichen Haut. Er hat mir einen Beutel Dope in die Satteltasche geschmuggelt und mich danach windelweich geprügelt.«
»Ja. Ich weiß. Das Dope stammte aus Marys Wagen. Er hat
sowas wie Nägel auf die Straße gelegt, um uns zu erwischen.
Es ist komisch, wenn man darüber nachdenkt
- unheimlich
komisch, nicht zum Lachen. Er ist durch Desperation gezogen
wie ein Wirbelwind - hat Leute erschossen, erstochen, totgeschlagen, aus Fenstern geworfen, mit dem Auto überfahren und trotzdem konnte er nicht einfach zu uns kommen, irgendeinem von uns, die Pistole ziehen und sagen: >Sie kommen mit
mir.< Er brauchte einen … mir fällt das Wort nicht ein.« Er sah
Johnny an.
»Vorwand«, sagte Steves einstiger Boß.
»Ja, genau, einen Vorwand. Wie in den alten Horrorfilmen
ein Vampir nicht einfach von alleine reinkommen kann. Man
muß ihn einladen.«
»Warum?« fragte Cynthia.
»Vielleicht, weil Entragian
- der richtige Entragian - immer
noch in seinem Kopf herumspukte. Wie ein Schatten. Oder jemand, der aus seinem Haus ausgesperrt ist, aber trotzdem
noch zu den Fenstern reinsehen und gegen die Türen klopfen
kann. Jetzt ist Tak in meiner Mutter - was noch von ihr übrig
ist -, und das würde uns töten, wenn es könnte … aber wahrscheinlich könnte es immer noch den besten Limonenkuchen
der Welt machen. Wenn es wollte.«
David senkte einen Moment mit bebenden Lippen den
Blick, dann sah er wieder zu ihnen auf.
»Aber es ist eigentlich nicht wichtig, daß er einen Vorwand
brauchte, um uns zu schnappen. Häufig ist nicht wichtig,
was er tut oder sagt - es ist sinnlos oder impulsiv. Aber er
gibt Hinweise. Immerzu Hinweise. Er verrät sich, zeigt sein
wahres Selbst, wie jemand, der sagt, was er in Tintenklecksen sieht.«
Steve fragte: »Wenn das nicht wichtig ist, was dann?« »Daß er uns geholt hat und andere Leute durchließ. Er glaubt,
daß er uns willkürlich ausgesucht hat, wie ein kleines Kind im
Supermarkt, das einfach jede Dose nimmt, die seine
Aufmerksamkeit erregt, und in den Einkaufskorb seiner Mutter wirft, aber so war es nicht.«
»Wie beim Engel des Todes in Ägypten, nicht?« sagte Cynthia mit einer merkwürdig tonlosen Stimme. »Nur umgekehrt. Wir hatten ein Zeichen an uns, das unserem Todesengel
- diesem Entragian - gesagt hat, daß er anhalten und zugreifen soll, statt einfach vorbeizufahren.«
David nickte. »Ja. Er wußte es damals nicht, aber jetzt schon
- mi him en tow, würde er sagen -, unser Gott ist stark, unser
Gott ist mit uns.«
»Wenn das ein Beispiel dafür ist, daß Gott mit uns ist, dann
erwecke ich hoffentlich nie seine Aufmerksamkeit, wenn er
eine Scheißlaune hat«, sagte Johnny.
»Jetzt will Tak, daß wir gehen«,
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