Desperation
nächste Woche von Phoenix
hierher. Würdet ihr das für mich tun?« Sie sagen, daß sie es tun
werden. Nicht alle werden ihr Versprechen auch nur
vierundzwanzig Stunden halten können, logisch - manche Männer
können einfach keine Geheimnisse für sich behalten -, aber er
denkt, er genießt genügend Respekt unter ihnen, daß ihm zwölf
Stunden zur Verfügung stehen … und vier würden wahrscheinlich
ausreichen. Vier Stunden nach Feierabend. Vier Stunden allein da
drinnen, mit einer Taschenlampe, einer Kamera und einer
elektrischen Lore für irgendwelche Souvenirs, die er vielleicht
mitnehmen möchte. Vier Stunden voll all dieser Kindheitsträume,
für die er ein zu alter Hase ist. Und falls die Decke nach fast
einhundertvierzig Jahren und zahllosen Sprengungen, die sie
erschüttert haben, sich ausgerechnet diesen Moment aussuchen
sollte, um nachzugeben? Soll sie. Er ist ein Mann ohne Frau, ohne
Kinder, ohne Eltern und mit zwei Brüdern, die vergessen haben,
daß er noch lebt. Er hat den heimlichen Verdacht, daß ihm ohnehin
nicht mehr allzu viele Jahre bleiben werden. Er fühlt sich schon seit
fast sechs Monaten elend, und in letzter Zeit hat er angefangen,
Blut zu pissen. Nicht viel, aber sogar ein bißchen scheint viel zu
sein, wenn es das eigene ist und man es in einer Kloschüssel sieht. Wenn ich das überstehe, gehe ich vielleicht zum Arzt, denkt
er. Ich betrachte es als Zeichen und gehe zu dem verdammten
Arzt. Was meinst du?
Turner möchte ein paar Aufnahmen von dem freigelegten Stollen
machen, nachdem er die Stechuhr gedrückt hat, und Ripton läßt
ihn. Es scheint die schnellste Möglichkeit zu sein, ihn loszuwerden. » Was meinst du, wie weit haben wir ihn freigelegt?« fragt Turner,
der etwa zwei Meter hinter den gelben Absperrungsbändern steht
und Bilder mit seiner Nikon macht - Bilder, auf denen ohne Blitzlicht nur ein schwarzes Loch und ein paar vereinzelte Knochen z« sehen sein werden, die zu einem Stück Rotwild gehören könnten.
»Schwer festzustellen«, sagt Ripton. Im Geiste listet er Ausrüstung auf, die er mit hineinnehmen will.
»Du wirst doch keine Dummheiten machen, wenn ich weg bin,
oder?« fragt Turner.
»Ich doch nicht«, sagt Ripton. »Ich habe zuviel Respekt vor der
Mining Safety, um an so was auch nur zu denken.«
»Ja, klar«, sagt Turner lachend, und am nächsten Morgen gegen
zwei Uhr früh wird eine viel größere Version von Cary Ripton das
Schlafzimmer betreten, in dem Turner mit seiner Frau liegt, und
den Mann im Schlaf erschießen. Und seine Frau. Tak!
Cary Ripton hat viel zu tun in dieser Nacht. Eine Nacht des
Tötens (kein einziger von Turners Sprengtrupp wird den Sonnenaufgang sehen) und Verteilens von can tahs; er hat einen ganzen
Jutesack voll mitgenommen, als er die Grube verlassen hat, alles in
allem über hundert. Einige sind in Stücke zerbrochen, aber er weiß,
daß selbst die Bruchstücke einen Teil ihrer unheimlichen, unberechenbaren Macht behalten. Er verbringt fast die ganze Nacht
damit, diese Andenken zu verteilen; er läßt sie in entlegenen
Winkeln, Briefkästen und Handschuhfächern zurück. Sogar in
Hosentaschen! Ja! Kaum jemand hier draußen schließt sein Haus
ab, kaum jemand bleibt bis spät in die Nacht hinein auf, und die
Häuser der Mitglieder von Turners Sprengtrupp sind nicht die
einzigen, denen Cary Ripton einen Besuch abstattet.
Er kehrt zur Grube zurück und ist so erschöpft wie Santa Claus,
wenn er nach seiner großen Nacht zum Nordpol zurückkehrt… aber
die Arbeit von Santa Claus ist getan, wenn er die Geschenke verteilt
hat. Die von Ripton fängt erst an. Es ist Viertel vor fünf; ihm
bleiben noch mehr als zwei Stunden, bis die ersten Mitglieder von
Pascal Martinez’ kleiner Samstagsbelegschaft eintreffen. Das
müßte genügen, aber er darf auf keinen Fall Zeit vergeuden. Cary
Riptons Körper blutet so sehr, daß er Toilettenpapier in seine
Unterwäsche stopfen mußte, um das Blut aufzusaugen, und auf dem
Weg zur Mine hat er zweimal anhalten und einen Bauchvoll Blut
zum Fenster von Carys Pickup hinaushusten müssen. Es hat die
ganze Seite verschmiert. Im ersten zaghaften und irgendwie
düsteren Licht des neuen Tages sieht das trocknende Blut wie
Tabaksaft aus.
Trotz seiner Eile verharrt er einen Moment wie angewurzelt bei
dem Anblick, der sich ihm im Licht der Scheinwerfer am Grund der
Grube bietet. Er sitzt mit weit aufgerissenen Augen am Steuer des
alten Lasters.
Am Nordhang der China-Mine sitzen so viele wilde
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