Desperation
er
Brad hierher locken muß; der großartige, verstorbene Kirk Turner
hat ihn darauf gebracht. »Hast du deine Fotoausrüstung im Wagen?« Na klar doch. Brad ist unter anderem ein besessener
Vogelbeobachter. Hält sich sogar für einen Amateurornithologen.
Aber heute morgen hat Cary Ripton etwas Besseres als Vögel
parat. Etwas viel Besseres.
»Ja, klar, worum geht’s denn?«
Ripton lehnt sich zurück an das Poster in der Ecke an der Wand,
das mit dem schmutzigen Bergarbeiter, der wie Onkel Sam mit dem
Finger zeigte und sagte: LOS DOCH, VERBIETET DEN BERGBAU, SOLLEN DIE ARSCHLÖCHER DOCH IM DUNKELN
ERFRIEREN! »Wenn du sofort in dein Auto springst und hierher
fährst, zeig ich’s dir«, sagt Ripton. »Und wenn du vor Pascal Martinez und seinen Jungs hier bist, hast du die Chance, die erstaunlichsten Bilder deines Lebens zu schießen.«
»Wovon redest du?« Josephson hört sich ganz aufgeregt an.
»Um die Knochen von vierzig oder fünfzig toten Chinesen, und
das ist erst der Anfang.«
»Was -« ,
»Wir sind gestern nachmittag auf den alten China-Schacht gestoßen. Keine zwanzig Schritte rein, und du bekommst die erstaunlichsten -«
»Bin schon auf dem Weg. Rühr dich nicht vom Fleck. Rühr dich bloß nicht vom Fleck.«
Das Telefon klickt in seinem Ohr, und Ripton grinst mit roten
Lippen. »Bestimmt nicht«, sagte er. »Keine Bange. Can de lach! Ah
ten! Tak!«
Zehn Minuten später geht Ripton - der inzwischen aus dem Nabel blutet, ebenso aus Rektum und Penis - auf dem unebenen Grund
der Grube zum China-Hang. Dort breitet er die Arme aus wie ein
Prediger und spricht in der Sprache der Ungeformten zu den
Tieren. Alle fliegen entweder weg oder verkriechen sich in der
Mine. Es wäre nicht gut, wenn Brad Josephson sie sehen würde.
Nein, das wäre überhaupt nicht gut.
Fünf Minuten später kommt Josephson, der kerzengerade am
Steuer eines alten Buick sitzt, den steilen Hang der Straße zur
Grube herunter. Auf dem Stoßstangenaufkleber vorne steht: BERGLEUTE BOHREN TIEFER UND BLEIBEN LÄNGER DRIN.
Ripton beobachtet ihn von der Bürotür aus. Es wäre auch nicht gut,
wenn Brad ihn zu genau sehen könnte, bevor er ein Stück nähergekommen ist.
Es gibt keine Probleme. Brad parkt mit knirschenden Reifen,
steigt aus, schnappt sich drei verschiedene Kameras, läuft zum
Büro und hält nur einmal kurz inne, um einen Blick in das etwa
sechs Meter hangaufwärts gelegene offene Loch zu werfen.
»Heilige Scheiße, das ist echt der China-Schacht«, sagt er. »Muß
es sein. Komm schon, Cary! Um Himmels willen, Martinez kann jeden Moment hier sein!«
»Nee, samstags fangen sie ein bißchen später an«, sagt er grinsend. »Reg dich ab.«
»Ja, aber was ist mit dem alten Joe? Er könnte ein Prob -«
»Ich hab gesagt, reg dich ab! Joe ist in Reno. Seine Enkelin hat ein
Kind geworfen.«
»Gut! Klasse! Zigarre, hm?« Brad lacht ein wenig hysterisch.
»Komm hier rein«, sagt Ripton. »Muß dir was zeigen.«
»Etwas, das du mit rausgebracht hast?«
»Ganz recht«, sagt Ripton, und in gewisser Weise stimmt es, er will Brad etwas zeigen, das er mit rausgebracht hat. Josephson betrachtet immer noch stirnrunzelnd seine baumelnden Kameras und
versucht, die Gurte zu ordnen, als Ripton ihn packt und in den
hinteren Teil des Raums wirft. Josephson quiekt verärgert. Später
wird er Angst haben, und noch später Todesangst, aber bis jetzt ist
ihm Joe Prudums Leichnam noch nicht aufgefallen, und er ist nur
verärgert.
»Zum letztenmal, reg dich ab!« sagt Ripton, während er hinausgeht und die Tür abschließt. »Heiliger Strohsack! Entspann dich!«
Lachend geht er zum Laster und steigt ein. Wie viele im Westen,
ist Ripton felsenfest vom Recht der Amerikaner überzeugt, Waffen
zu tragen; eine Flinte befindet sich in einer Halterung hinter dem
Sitz, und eine gemeine, versteckte kleine Waffe - ein Ruger SpeedSix - im Handschuhfach. Er lädt die Schrotflinte und legt sie sich
auf den Schoß. Den Ruger, der schon geladen ist, läßt er einfach
auf den Sitz neben sich fallen. Sein erster Impuls ist, ihn in den
Hosenbund zu stecken, aber mittlerweile schwimmt er da unten
förmlich im Blut (Ripton, du Idiot, denkt er, weißt du denn nicht,
daß sich Männer in deinem Alter jedes Jahr die alte Prostata kitzeln lassen sollen), und es wäre wahrscheinlich keine gute Idee, seinen Revolver damit zu tränken.
Als Josephson, der unablässig gegen die Tür des Büros hämmert,
ihm auf die Nerven geht, schaltet er das Radio ein, dreht die Lautstärke auf
Weitere Kostenlose Bücher