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Desperation

Desperation

Titel: Desperation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Vietcong-Wachposten.
5
    Mary verlor nicht das Bewußtsein, aber sie schrie, bis etwas in
ihrem Kopf riß und alle Kraft aus ihren Muskeln wich. Sie taumelte vorwärts und klammerte sich mit einer Hand am Tisch
fest, obwohl sie es nicht wollte, Schwarze Witwen und Skorpione krabbelten darauf herum, ganz zu schweigen von dem
Leichnam mit der leckeren Schüssel Blut vor sich; aber mit
dem Gesicht voran auf den Boden stürzen wollte sie noch
weniger.
Der Boden war das Reich der Schlangen.
Sie entschied sich dafür, auf die Knie zu sinken und sich mit
der freien Hand am Tisch festzuhalten. Diese Haltung hatte etwas seltsam Tröstliches. Beruhigendes. Als sie einen Moment
nachgedacht hatte, fiel ihr auch der Grund dafür ein: David.
Ihre Haltung erinnerte sie an die schlichte, zuversichtliche Art
und Weise, wie der Junge in der Zelle gekniet hatte, die er sich
mit Billingsley teilte. Im Geiste hörte sie ihn in einem leicht entschuldigenden Tonfall fragen: Würde es Ihnen etwas ausmachen,
sich umzudrehen? …Ich muß die Hose ausziehen. Sie lächelte, und
die Tatsache, daß sie an diesem schrecklichen Ort
lächelte daß sie an diesem schrecklichen Ort lächeln konnte -, beruhigte
sie noch mehr. Ohne nachzudenken, betete sie selbst zum erstenmal seit ihrem elften Lebensjahr. Sie war im Ferienlager
gewesen und hatte mit einem Haufen blöder Mädchen, die
sich wahrscheinlich als fiese und gemeine Gören entpuppen
würden, in einer blöden, mückenverseuchten Blockhütte auf
einer blöden Pritsche gelegen. Krank vor Heimweh hatte sie
zu Gott gebetet, daß er ihre Mutter schicken möge, um sie nach
Hause zu bringen. Gott hatte ihrem Wunsch nicht entsprochen, und seitdem war Mary davon ausgegangen, daß sie
mehr oder weniger auf sich allein gestellt war.
»Gott«, sagte sie, »ich brauche Hilfe. Ich stecke in einem
Raum voller Krabbelviecher, überwiegend giftig, und habe
Todesangst. Falls du da bist, wäre mir jede Unterstützung
recht. A -«
Amen, sollte das Schlußwort sein, aber sie verstummte, bevor sie es aussprechen konnte, und riß die Augen auf. Eine
deutliche Stimme sprach in ihrem Kopf
- aber nicht ihre
eigene Stimme, da war sie ganz sicher. Es war, als hätte jemand nur, und nicht einmal besonders geduldig, darauf gewartet, daß sie als erste spräche.
Hier drinnen ist nichts, das dir etwas tun kann, sagte die
Stimme. Noch nicht.
Der Strahl ihrer Taschenlampe fiel auf ein altes Waschmaschinen/Trockner-Set von Maytag. Ein Schild darüber gebot:
KEINE PERSÖNLICHE WÄSCHE! DAS GILT AUCH FÜR
SIE! Spinnen bewegten sich auf langen, dünnen Beinen über
das Schild. Über die Waschmaschine ebenfalls. Näher bei ihr,
auf dem Tisch, schien ein Skorpion die zerquetschten Überreste der Spinne zu untersuchen, die sie aus ihrem Haar gezogen hatte. Ihre Hand pochte immer noch von diesem Zusammentreffen; das Ding mußte voller Gift gewesen sein,
möglicherweise ausreichend, um sie zu töten, wenn es sie gestochen und nicht nur besudelt hätte. Nein, sie wußte nicht,
wem die Stimme gehörte, aber wenn Gott Gebete auf diese
Weise beantwortete, durfte es einen eigentlich nicht wundern,
daß die Welt so tief in der Scheiße steckte. Denn hier gab es
eine Menge, das ihr etwas tun konnte, eine Menge.
Nein, sagte die Stimme geduldig, während Mary mit der Taschenlampe über die auf dem Boden aufgereihten verwesenden Leichen glitt und ein weiteres Nest sich windender Schlangen fand. Nein, das können sie nicht. Und du weißt auch, warum. »Ich weiß gar nichts«, stöhnte sie und richtete den Lichtstrahl
der Taschenlampe auf ihre Hand. Rot und pochend, aber nicht
geschwollen. Weil die Spinne sie nicht gebissen hatte.
Hmmm. Das war irgendwie interessant.
Mary leuchtete die Toten wieder an und ließ den Lichtstrahl
von dem ersten über Josephson bis zu Entragian wandern.
Der Virus, der diese Körper verwüstet hatte, war jetzt in Ellen.
Und wenn sie, Mary Jackson, die nächste Trägerin sein sollte, dann konnte ihr das Getier hier drinnen wirklich nichts tun.
Die Tiere durften die Ware nicht beschädigen.
»Die Spinne hätte mich beißen können«, murmelte sie,
»aber sie hat es nicht getan. Statt dessen hat sie sich von mir
totschlagen lassen. Nichts hier drinnen hat mir etwas getan.«
Sie kicherte, ein schrilles, hysterisches Geräusch. »Wir sind
Kumpels!«
Du mußt hier raus, sagte die Stimme zu ihr. Bevor es zurückkommt. Und das wird es. Schon bald.
»Beschütze mich!« sagte Mary und stand auf. »Das wirst du
doch, oder nicht?

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