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Desperation

Desperation

Titel: Desperation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Metall riß.
Beeil dich, Mary - beeil dich!
Sie wischte sich Schweiß von der Stirn, schob die Hacke in
das Ende der Furche und zog wieder aufwärts. Die Spitzhacke
verlängerte die Furche am oberen Rand des Lochs noch mehr,
rutschte aber so schnell heraus, daß Mary nach hinten kippte
und die Hacke ihr aus der Hand fiel. Sie konnte spüren, wie
noch mehr Spinnen unter ihrem Rücken zerplatzten, und die
Ratte, nach der sie vorher getreten hatte - oder möglicherweise eine ihrer Verwandten -, krabbelte ihr quiekend über den
Hals. Ihre Schnurrhaare kitzelten Mary am Unterkiefer. »Verpiß dich!« schrie sie und schlug die Ratte fort. Sie rappelte sich auf, nahm die Taschenlampe vom Trockner und
klemmte sie sich zwischen den linken Oberarm und die linke
Brust. Dann beugte sie sich nach vorne und klappte die beiden
Seiten des Schlitzes, den sie gemacht hatte, wie Hügel auseinander,
Sie dachte, daß die Öffnung groß genug sein würde. Gerade
so.
»Ich danke dir, Gott«, sagte sie. »Bleib noch einen Moment
bei mir, bitte. Und wenn du mich durch diese Öffnung
bringst, dann schwöre ich dir, daß wir in Verbindung bleiben.«
Sie ließ sich auf die Knie nieder und spähte durch das Loch.
Der Gestank war mittlerweile so stark, daß sie würgen mußte.
Sie leuchtete mit der Taschenlampe hinein.
»Gott!« schrie sie mit einer hohen, kraftlosen Stimme. »Gütiger Himmel, NEIN!«
,In ihrem Schock hatte sie als erstes den Eindruck, als müßten es Hunderte Leichen sein, die hinter dem Gebäude aufgeschichtet worden waren, in dem sie sich befand - die ganze
Welt schien nur aus weißen, schlaffen Gesichtern, glasigen
Augen und zerfetztem Fleisch zu bestehen. Vor ihren Augen
stob ein Geier, der auf der Brust eines Mannes gesessen und
Fleisch vom Gesicht eines anderen gerissen hatte, mit Hügeln
in die Höhe, die schlugen wie Bettlaken auf einer Wäscheleine.
So viele sind es nicht, sagte sie sich. So viele sind es nicht, Mary,
altes Mädchen, und selbst wenn es tausend wären, würde das nichts
an deiner Situation ändern.
Trotzdem konnte sie sich einen Moment lang nicht aufraffen. Das Loch war groß genug, daß sie hinauskriechen konnte,
da war sie ganz sicher, aber sie würde …
»Ich lande auf ihnen«, flüsterte sie. Das Licht in ihrer Hand
zuckte unkontrolliert und schien auf Wangen und Stirnen und
haarige Ohren, so daß sie an die Szene am Ende von Psycho denken mußte, als die spinnwebenverhangene Glühbirne hin
und her schwingt und das runzlige Mumiengesicht von Normans toter Mutter beleuchtet.
Du mußt gehen, Mary, sagte die Stimme geduldig zu ihr. Du
mußt jetzt gehen, sonst ist es zu spät.
Na gut … aber sie mußte ihre Landezone nicht sehen. Auf
keinen Fall. Wenn sie es nicht wollte.
Sie schaltete die Taschenlampe ab und warf sie durch das
Loch. Sie hörte ein leises Klonk, als die Lampe auf … nun, auf
etwas landete. Sie holte tief Luft, machte die Augen zu und
schlüpfte hinaus. Rostiges Metall zog ihr das Hemd aus den
Jeans und zerkratzte ihr den Bauch. Sie neigte sich nach vorne,
dann fiel sie mit fest zugekniffenen Augen. Sie streckte die
Hände vor sich aus. Eine landete auf einem Gesicht
- sie
spürte die kalte, nicht atmende Nase an der Handfläche und
die Augenbrauen (dem Gefühl nach mußten es buschige
Brauen sein) unter den Fingern. Die andere Hand glitt in kalten Glibber und rutschte ab.
Sie preßte die Lippen zusammen und schloß das, was
herauskommen wollte - ein Kreischen oder ein Aufschrei des
Ekels - dahinter ein. Wenn sie schrie, würde sie atmen müssen. Und wenn sie atmete, würde sie die Toten riechen, die seit
Gott-weiß-wie-lange hier draußen in der Sommersonne lagen. Sie landete auf Leichen, die sich verschoben und toten
Atem ausrülpsten. Mary sagte sich, daß sie nicht in Panik geraten durfte, sondern einfach durchhalten mußte, rollte sich
von den Toten weg und wischte sich schon die Hand, die in
den Glibber gerutscht war, an der Hose ab.
Nun spürte sie Sand unter sich, und die scharfkantigen
Spitzen von kleinen Bruchsteinen. Sie rollte sich noch einmal
herum, auf den Bauch, schob die Knie unter sich und rieb
beide Hände in dem rauhen, grobkörnigen Boden, bewegte
sie hin und her und säuberte sie, so gut es trocken eben ging.
Sie schlug die Augen auf und sah die Taschenlampe neben
einer ausgestreckten, wächsernen Hand liegen. Sie schaute
auf, weil sie den klaren und ruhigen Himmel sehen wollte sehen mußte. Eine gleißende Mondsichel stand tief am Firmament und schien fast auf

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