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Desperation

Desperation

Titel: Desperation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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vergangenen November bei Brian im Krankenhaus.
Aber hier war es anders, denn die Augen des Cops waren leer,
aber gleichzeitig auch nicht. Da war etwas, ja, etwas, aber David wußte nicht, was es war und wie es gleichzeitig etwas und
nichts sein konnte. Er wußte nur, er hatte so etwas noch nie gesehen.
Der Mann sah die Frau namens Mary mit einem Ausdruck
übertriebenen Erstaunens an. »Heiliger Strohsack, nein!« sagte
er. »Doch nicht jetzt, wo es gerade anfängt, interessant zu werden.« Er griff in die rechte Tasche, holte einen Schlüsselring
heraus und entschied sich für einen, der überhaupt nicht wie
ein Schlüssel aussah - er war quadratisch, mit einem
schwarzen Streifen in der Mitte des Metalls. David fand, er
sah wie eine der Schlüsselkarten aus, die man in Hotels bekam. Der Cop schob sie ins Schloß der großen Zelle und öffnete sie. »Springen Sie rein, Mare«, sagte er. »Sie werden sich
wohlfühlen wie die Made im Speck.«
Sie beachtete ihn nicht, sondern sah statt dessen zu Davids
Eltern! Die standen nebeneinander am Gitter der kleinen
Zelle direkt gegenüber von der, wo David mit dem weißhaarigen Mr. Schweigsam eingesperrt war. »Dieser Kerl
- dieser Wahnsinnige hat meinen Mann getötet. Er hat …« Sie
schluckte, verzog das Gesicht, und der große Cop sah sie
gütig an und schien fast aufmunternd zu lächeln: Raus damit,
Mary, laß alles raus, danach wirst du dich besser fühlen. »Er hat
den Arm um ihn gelegt, wie eben um mich, und viermal auf
ihn geschossen.«
»Er hat unsere kleine Tochter getötet«, sagte Ellen Carver zu
ihr, und etwas an ihrem Tonfall erfüllte David vorübergehend
mit einem Gefühl völliger, traumhafter Unwirklichkeit. Es
war, als spielten die beiden ein Spiel, bei dem man sich gegenseitig überbietet. Als nächstes würde die Frau namens Mary
sagen: Nun, er hat unseren Hund getötet, und dann würde
seine Mutter sagen
»Das wissen wir nicht«, sagte Davids Vater. Mit seinem geschwollenen und blutigen Gesicht sah er schrecklich aus, wie
ein Schwergewichtsboxer, der zwölf Runden lang Prügel hat
einstecken müssen. »Nicht mit Sicherheit.« Er sah den Cop mit
einem schrecklich hoffnungsvollen Ausdruck auf seinem geschwollenen Gesicht an, aber der Cop beachtete ihn gar nicht.
Er interessierte sich nur für Mary.
»Genug geplaudert«, sagte er. Er hörte sich wie der
freundlichste Opa der Welt an. »Rein in Ihr Zimmer, teuerste
Mary. In deinen goldenen Käfig, mein kleiner blauäugiger
Wellensittich.«
»Oder was? Oder Sie töten mich?«
»Ich sagte schon, daß ich das nicht tun werde«, sagte er
mit derselben Freundlicher-alter-Opa-Stimme, »aber Sie
sollten das weltbekannte Schicksal, das schlimmer ist als der
Tod, nicht vergessen.« Seine Stimme hatte sich nicht verändert, aber jetzt sah sie ihn gebannt an, wie ein angepflocktes
Kind eine Boa constrictor. »Ich kann Ihnen weh tun, Mary«,
sagte er. »Ich kann Ihnen so sehr weh tun, daß Sie sich wünschen, ich hätte Sie getötet. Das glauben Sie mir doch, oder
nicht?«
Sie sah ihn noch einen Moment an, dann riß sie die Augen
los - genauso kam es dem sechs Meter entfernten David vor,
als würde sie sich losreißen, wie man einen Klebestreifen von
einem Brief oder einem Paket abreißt - und ging in die Zelle.
Ihr Gesicht zuckte beim Gehen, und als der Cop die Zellentür hinter ihr ins Schloß warf, brach sie zusammen. Sie
warf sich auf eine der vier Pritschen an der hinteren Wand,
vergrub das Gesicht in den Armen und schluchzte. Der Cop
sah sie einen Moment mit gesenktem Kopf an. David hatte
wieder Zeit, zu der Schrotpatrone zu sehen und sich zu überlegen, ob er sie aufheben sollte. Dann fuhr der große Cop zusammen und schüttelte sich, wie jemand, der aus tiefem
Schlaf erwacht, und wandte sich von der großen Zelle mit
der schluchzenden Frau ab. Er kam quer durch den Raum
auf David zu.
Der weißhaarige Mann wich hastig vom Gitter zurück, als
der Cop kam, bis er mit den Kniekehlen an die Pritsche stieß
und sich setzte. Dann hielt er wieder die Hände vor die
Augen. Bis dahin war das David wie eine Geste der Verzweiflung vorgekommen, aber nun schien es das Grauen widerzuspiegeln, das er selbst empfunden hatte,
-als der Blick des
großen Cops auf ihn gefallen war - nicht Verzweiflung, sondern Grauen, die instinktive Schutzgeste von jemandem, der
etwas Bestimmtes nicht ansehen will, es sei denn, er wird regelrecht dazu gezwungen.
»Wie läuft’s, Tom?« fragte der Cop den Mann auf der Pritsche. »Wie hängen sie,

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