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Desperation

Desperation

Titel: Desperation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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an.
»In Frankreich gibt es auch keinen Gott, Soldat. Laß dir das
von moi sagen. Nur Cinzano und escargots und Frauen, die
sich nicht unter den Armen rasieren.«
Er schenkte den anderen seine Aufmerksamkeit, wobei sein
Grinsen allmählich erlosch.
»Ihr müßt alle hierbleiben«, sagte er. »Ich weiß, ihr habt Angst
vor mir, und wahrscheinlich tut ihr gut daran, Angst vor mir zu
haben, aber glaubt mir, ihr seid aus einem bestimmten Grund
hier eingesperrt. Dies ist der einzige sichere Aufenthaltsort im
Umkreis von Meilen. Da draußen sind Kräfte am Werk, an die
ihr nicht mal denken wollt. Und wenn die Nacht anbricht -« Er
sah sie nur an und schüttelte ernst den Kopf, als wäre der Rest
zu gräßlich, als daß man ihn hätte aussprechen können. Du lügst, du Lügner, dachte David … aber dann ertönte ein
weiteres Heulen durch das Fenster im Treppenhaus, und ihm
kamen Zweifel.
»Und überhaupt«, sagte der Cop, »dies sind gute Schlösser
und gute Zellen. Sie wurden von Kraftmeiern für randalierende Minenarbeiter gebaut, und Fliehen ist nicht drin. Falls
ihr daran gedacht habt, vergeßt es ganz schnell wieder. Also
hört auf mich. Das ist das Beste, was ihr tun könnt. Glaubt mir,
es ist so.« Damit entfernte er sich, diesmal endgültig - David
konnte hören, wie er mit seinen Stiefeln die Treppe hinunterstapfte, so daß das ganze Gebäude erbebte.
Der Junge blieb einen Augenblick stehen; er wußte, was er
tun mußte - was er unbedingt tun mußte, aber er zögerte, es
vor seinen Eltern zu tun. Doch er hatte keine andere Wahl,
oder? Und was den Cop betraf, hatte er recht gehabt. Der
große Mann hatte nicht exakt seine Gedanken gelesen wie
eine Zeitung, aber einiges hatte er mitbekommen - die Sache
mit Gott, zum Beispiel. Aber vielleicht war das gut so. Besser,
der Cop sah Gott als vielleicht die Schrotpatrone.
Er drehte sich um und ging mit zwei langsamen Schritten
zum Fußende der Pritsche. Beim Gehen konnte er das Gewicht der Patrone in seiner Tasche spüren. Das Gewicht war
sehr deutlich und unmißverständlich. Als hätte er einen Goldklumpen da drinnen versteckt.
Nein, gefährlicher als Gold. Vielleicht einen Klumpen von irgendwas Radioaktivem.
Er blieb einen Moment mit dem Rücken zum Raum stehen,
dann ließ er sich langsam auf die Knie sinken und betete. Er
holte tief Luft, sog sie ein, bis seine Lungen keine mehr aufnehmen konnten, und dann ließ er sie in einem langsamen,
stummen Stoßseufzer wieder entweichen. Er faltete die
Hände auf der groben Wolldecke und ließ seine Stirn langsam
darauf sinken.
»David, was ist mit dir?« rief seine Mutter. »David!«
»Mit ihm ist alles in Ordnung«, sagte sein Vater, und David
lächelte verhalten, als er die Augen zumachte.
»Was meinst du damit, alles in Ordnung?« schrie Ellie.
»Sieh ihn dir an, er ist gefallen, er wird ohnmächtig! David!« Ihre Stimmen kamen wie aus weiter Ferne und verhallten,
aber bevor sie endgültig verstummten, hörte er seinen Vater
noch sagen: »Er wird nicht ohnmächtig. Er betet.«
Kein Gott in Desperation? Nun, das wollen wir doch mal sehen. Dann war er weg und kümmerte sich nicht mehr darum,
was seine Eltern denken mochten, machte sich keine Sorgen
mehr, ob der alte Mr. Weißhaar gesehen hatte, wie er die
Schrotpatrone mopste, und ob er es dem Monster-Cop sagen
würde, trauerte nicht mehr um das süße kleine Törtchen, die
in ihrem ganzen Leben niemandem etwas zuleide getan und
es nicht verdient hatte, auf diese Weise zu sterben. Er befand
sich strenggenommen nicht einmal mehr in seinem eigenen
Kopf. Er war in der Schwärze, blind, aber nicht taub, in der
Schwärze und horchte nach seinem Gott.
2
    Wie die meisten religiösen Bekehrungen, war auch die von
David Carver nur nach außen hin spektakulär; im Inneren
verlief sie ruhig, fast unauffällig. Vielleicht nicht rational
-
seelische Vorgänge sind möglicherweise nie völlig rational -,
aber von einer eigenen Klarheit und inneren Logik beherrscht.
Und zumindest für David stand ihre Echtheit außer Frage. Er
hatte Gott gefunden, das war alles. Und (das hielt er wahrscheinlich für wichtiger) Gott hatte ihn gefunden.
Im Oktober des vergangenen Jahres war Davids bester
Freund auf dem Weg zur Schule von einem Auto angefahren
worden. Brian ROSS wurde dreizehn Meter durch die Luft
geschleudert und prallte gegen eine Hauswand. An jedem anderen Morgen wäre David bei ihm gewesen, aber an diesem
speziellen Tag war er krank, mit einem nicht allzu ernsten Virusinfekt zu Hause

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