Desperation
bevor wir geboten haben,
und bin die halbe Strecke nach Hause zwischen fünfundsechzig und hundertzehn gefahren. Ich kenn das Geräusch. Er ist
es.«
Und als sich David zu dem alten Mann umdrehte, sprach
die leise, dünne Stimme zu ihm, die er zum erstenmal in Brians Krankenzimmer gehört hatte. Wie immer meldete sie sich
überraschend zu Wort, und die beiden Worte, die sie sprach,
ergaben zunächst keinen Sinn für David.
Die Seife.
Er hörte die Worte so deutlich wie die Worte Du betest schon, als er mit geschlossenen Augen auf dem Vietcong-Wachposten gesessen hatte.
Die Seife.
Er sah in die linke hintere Ecke seiner Zelle, in der er mit Mr.
Weißhaar saß. Dort befand sich eine Toilette ohne Deckel. Daneben ein uraltes, rostiges Emaillebecken. Neben dem rechten
Drehknauf lag ein grünes Stück Seife, bei der es sich nur um
Irischer Frühling handeln konnte.
Draußen wurde der Motorenlärm des Streifenwagens von
Desperation lauter und satter. Etwas weiter entfernt heulten
die Kojoten. David fand, dieses Heulen hörte sich an wie das
Gelächter von Irren, nachdem die Pfleger aus irgendeinem
Grund die Anstalt geräumt haben.
4
Die Carvers waren zu verstört und zu sehr auf ihren Entführer konzentriert gewesen, um den toten Hund zu bemerken,
der am Willkommenschild am Stadtrand hing, aber Johnny
Marinville war ein geübter Beobachter. Tatsächlich war der
Hund auch kaum zu übersehen. Seit die Carvers vorbeigekommen waren, hatten ihn die Geier entdeckt. Sie saßen unter
dem Kadaver auf dem Boden, die häßlichsten Vögel, die
Johnny je in seinem Leben gesehen hatte, einer pickte am
Schwanz des alten Schäferhunds, ein anderer an einer seiner
baumelnden Pfoten. Der Kadaver schwang hin und her und
drehte sich an dem Strick um seinen Hals. Johnny stieß unwillkürlich einen Laut des Ekels aus.
»Aasgeier!« sagte der Cop. »Heiliger Strohsack, sind sie
nicht scheußlich?« Seine Stimme klang deutlich belegt. Er
hatte auf der Fahrt zur Stadt noch zweimal geniest, beim
zweitenmal befanden sich Zähne in dem Blut, das ihm aus
dem Mund spritzte. Johnny wußte nicht, was mit ihm los war,
und wollte es auch nicht wissen; er wünschte sich nur, es
würde schneller gehen. »Ich will Ihnen was über Geier erzählen«, fuhr der Cop fort. »Sie wachen, um zu schlafen, erwachen mit Genuß. Sie lernen, wie sie gehen, wohin man gehen muß. Stimmen Sie dem nicht zu, mon Capitan?«
Ein wahnsinniger Cop, der Roethke zitierte. Wie sartresk.
»Wie Sie meinen, Officer.« Er hatte nicht die Absicht, den
Cop noch mal in Rage zu bringen, wenn es sich vermeiden
ließ; der Mann schien sich in einem Auflösungsprozeß zu befinden, und dessen Ende wollte Johnny noch erleben.
Sie fuhren an dem toten Hund und den grausigen, wie gehäutet aussehenden Vögeln vorbei, die sich an ihm gütlich taten. Was ist mit den Kojoten, Johnny, was ist mit denen?
Aber er wollte nicht an die Kojoten denken, die in exakten
Abständen zu beiden Seiten der Straße aufgereiht saßen wie
eine Ehrenwache, auch nicht daran, daß sie wie die Blue Angels wegtraten, sobald der Streifenwagen vorbei war, und in
die Wüste rannten, als stünde ihr Kopf in Flammen und ihr
Arsch finge –
»Sie furzen, wissen Sie«, sagte der Cop mit seiner bluterstickten Stimme. »Geier furzen.«
»Nein, das wußte ich nicht.«
»Ja, Sir, sie sind die einzigen Vögel, die das tun. Ich sage Ihnen das, damit Sie es in Ihr Buch aufnehmen können. Kapitel
sechzehn von Reisen mit Harley.«
Johnny fand, daß sich der Arbeitstitel seines Buchs noch nie
so durch und durch albern angehört hatte.
Der Streifenwagen fuhr an dem Gebäude einer Bergwerksgesellschaft vorbei. Es standen eine Menge Autos und Lastwagen auf dem Parkplatz, was Johnny seltsam vorkam. Feierabend war längst vorbei. Warum standen diese Autos nicht in
ihren Einfahrten oder unten vor dem hiesigen Wasserloch?
»Jawoll, jawoll«, sagte der Cop. Er hob eine Hand, als wollte
er ein Bild einrahmen. »Ich sehe es deutlich vor mir. Kapitel
sechzehn: Die furzenden Geier von Desperation. Hört sich
verdammt nach einem Roman von Edgar Rice Burroughs an,
oder nicht? Aber Burroughs war ein besserer Schriftsteller als
Sie, und wissen Sie auch, warum? Weil er ein Schmierfink
ohne hochtrabende Ansprüche war. Einer mit Prioritäten. Erzähl deine Geschichte, mach die Arbeit, gib den Leuten etwas,
das sie genießen können, ohne sich dumm vorzukommen,
und sieh zu, daß du nicht in den Klatschspalten auftauchst.«
»Wo bringen Sie mich hin?«
Weitere Kostenlose Bücher