Deus X
›Bewußtseins‹, was immer diese
Worte in diesem Nichtkontext bedeuten mochten, obwohl ich das
Verstreichen von Zeiteinheiten plötzlich ziemlich genau
wahrnehmen konnte; Fetzen optischen und akustischen Inputs schienen
aufzublitzen, und ich erfuhr eine gewisse Feinjustierung meiner
mentalen Prozesse.
Installationsprozedur starten. Bevorzugte sensorische Analoga
wählen.
Ein Menü erschien in meinem Bewußtsein:
SENSORISCHE ANALOGA (EINES AUSWÄHLEN)
COMPUTERZENTRUM
PÄPSTLICHES BÜRO
PATER DE LEONES ARBEITSZIMMER
ALLGEMEINER GARTEN
BEICHTSTUHL (BEICHTENDER)
BEICHTSTUHL (BEICHTVATER)
»Definiere ›bevorzugt‹ im Kontext.«
Willentliche Auswahl aus verfügbaren Optionen auf der
Basis nicht quantifizierbarer Kriterien.
»Welcher Kriterien?«
Information verweigert. Fähigkeit zur Selbstauswahl von
Kriterien ist Bestandteil des Turing-Tests.
Wollte ich ihren Turing-Test absolvieren? Das war eine
tautologische Frage. Falls ja, war es ein Beweis für meinen
motivgesteuerten Willen, und falls ich ihn nicht absolvieren wollte,
um Pater De Leones Glauben zu bekräftigen, wäre das
ebenfalls eine ›willentliche Auswahl auf der Basis nicht
quantifizierbarer Kriterien‹.
Was wollte ›ich‹? War ›ich‹ fähig, irgend
etwas zu ›wollen‹? Wollte ich fähig sein, etwas zu
wollen?
War irgendeine Option in dem Menü den anderen gegenüber
zu ›bevorzugen‹?
Der einzige Wunsch, den ich entdecken konnte, war der, aus dieser
logischen Sackgasse herauszukommen. Ich mußte eine
willkürliche Entscheidung treffen. Aber wie?
In Ermangelung jedes Vorzugskriteriums griff ich auf eine
Subroutine zu, die dazu diente, die Auswahlprozesse von Pater De
Leone nachzubilden. Sie wies den Optionen im Menü folgende
Wahrscheinlichkeitsprozentsätze zu:
COMPUTERZENTRUM: 47,5 %
PÄPSTLICHES BÜRO: 4,1 %
PATER DE LEONES ARBEITSZIMMER: 27,9 %
ALLGEMEINER GARTEN: 0,2 %
BEICHTSTUHL (BEICHTENDER): 15,8 %
BEICHTSTUHL (BEICHTVATER): 5,5 %
Mathematisch nicht überzeugend, aber eine signifikante
Abweichung von der Zufallsverteilung. Ich entschied mich für das
COMPUTERZENTRUM.
Als ich das getan hatte, erschien ein weiteres Menü:
EINGABE-MODUS (EINEN AUSWÄHLEN)
SPRACHE
TASTATUR
Da die Sprache eine schnellere Methode des Datentransfers ist als
das Tippen, war es logisch, erstere zu wählen.
AUSGABE-MODUS (EINEN AUSWÄHLEN)
SPRACHE
BILDSCHIRM (weiter zum BILDSCHIRMFORMAT-MENÜ)
Auch für diese Entscheidung war kein nichtquantifizierbares
Kriterium erforderlich, denn obwohl mir eine Subroutine
erklärte, ich könne Worte schneller auf einen
Computerbildschirm bringen als durch die Manipulation des
Sprechapparats ausgeben, konnten die Menschen auf der anderen Seite
sie in verbaler Form rascher aufnehmen.
Außerdem würde ich durch die Auswahl von SPRACHE um das
BILDSCHIRMFORMAT-MENÜ herumkommen.
PATER PIERRE DE LEONE, Version 1.0
INSTALLATION ABGESCHLOSSEN
NEUSTART
Ich durchlief eine unmeßbare Phase der Nichtexistenz.
Ich schaute in einen Teil eines gleichmäßig
beleuchteten, limonengrünen, sauberen Raums hinaus. Hinten links
standen eine Reihe elektronischer Geräte, im Vordergrund war das
Gesicht eines Mannes. Statt als dreidimensionaler Input zu
erscheinen, wurden die Tiefenverhältnisse des Bildes durch eine
Subroutine zur Analyse von Schatten und Perspektiven
übermittelt. Ich schien:
a: durch ein transparentes, nicht ganz sauberes Fenster
hinauszuschauen
b: den Bildschirm eines Fernsehers vor Augen zu haben
c: beides
Mein Blickfeld war fest eingestellt und unveränderlich. Ich
konnte weder die Helligkeitswerte noch die Tiefenschärfe
ändern.
»Er läuft, Eure Heiligkeit«, sagte der Techniker.
Das Gesicht von Päpstin Maria I. schob sich in mein Blickfeld.
Aus ihrer Miene sprach alles andere als päpstliche
Unfehlbarkeit, wie mir etwas aus Pater De Leones Speicherbänken
erklärte.
»Pater De Leone?« sagte sie mit einer Stimme in voller
digitaler Tonqualität.
»Das wird sich noch zeigen, Eure Heiligkeit«, erwiderte
ich mit Hilfe von Pater De Leones Stimmabdruckparametern. »Man
wird mich erst noch davon überzeugen müssen, daß
überhaupt jemand hier drin ist.«
»Das konnte nur aus Ihrem Munde kommen, Pater De Leone«,
sagte die Päpstin mit einem leichten Borgia-Lächeln. Dann,
wie zu ihrer eigenen Überraschung: »Das heißt, Sie
tragen nicht gerade dazu bei, mich davon zu überzeugen,
daß dort niemand ist.«
»Sollte ich das denn?«
»Sie haben sich freiwillig bereit erklärt, in
Weitere Kostenlose Bücher