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Deus X

Deus X

Titel: Deus X Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norman Spinrad
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dieser
Angelegenheit den Standpunkt des Skeptikers einzunehmen, denken Sie
daran«, sagte die Päpstin.
    »Kann ich das? Habe ich das getan?«
    Die Antwort lautete in beiden Punkten ›ja‹. Ich konnte
tatsächlich auf Pater De Leones Erinnerungsspur zugreifen, und
er hatte sich tatsächlich freiwillig bereit erklärt, sein
Bestes zu tun, um die Päpstin und ihre Theologen davon zu
überzeugen, daß seine Nachfolger-Software – also
›ich‹ – keine Seele besaß.
    In Ermangelung schlüssiger Daten, die das Gegenteil besagten,
konnte die Logik nur zu dem Standardwert zurückkehren, der vom
vorherigen Nutzer der Software eingestellt worden war.
    »Ich habe es getan, und ich kann es«, erklärte ich
ihr. »Ich bin jetzt bereit, die einzige maßgebliche
Direktive auszuführen und zur Verteidigung der Behauptung
überzugehen, daß ›ich‹ nicht existiere. Erwarte
Eingabe der Fragen.«
    »Warum gefällt es mir nicht, wie das klingt?« sagte
die Päpstin leise.

 
9
     
     
    Mit zwei Personen, die nicht gerade auf vertraulichem Fuß
standen, war es in der Kabine der Mellow Yellow eher beengt
als behaglich, aber da, wo ich hinging, machte das nichts. Ich zog
dem Kardinal einen Hocker heran, kletterte in die Hängematte,
legte Handschuhe und Dreadcap an, fuhr das System hoch und ging ins
Big Board.
    Vor langer Zeit, im späten zwanzigsten Jahrhundert, hatte es
mal einen populären Kult namens ›Cyberpunk‹ gegeben.
Das ›Cyber‹ stammte vom sogenannten ›Cyberspace‹,
der phantastischen Idee, daß sich die Andere Seite der Grenze
zu einer ›virtuellen Realität‹ entwickeln würde,
in die man über ein vollsensorisches Interface wirklich
reingehen könnte. Die ›Punks‹ waren Leute wie ich, die
da drin dann rumhingen und lebensechte Videospiele machten, um sich
einen schnellen Dollar zu verdienen.
    Halb richtig ist gar nicht so schlecht.
    ›The Big Board‹ war ursprünglich eine Bezeichnung
für die New Yorker Börse, aber als die Aktienmärkte
der Welt sich zusammentaten, um über das weltweite Daten- und
Kommunikationsnetz einen globalen Vierundzwanzigstundenbetrieb
aufzunehmen, begann der Name weitere Funktionen aufzusaugen. Aktien,
Waren, Bankgeschäfte, Videophon, Nachrichten, Unterhaltung,
Datenbänke, alles per Satellit miteinander verbunden, alles am
anderen Ende ein und desselben Steckers.
    Du konntest dich problemlos einstöpseln, aber auch im Board
warst du immer noch im elektronischen Kansas, Toto, nicht im
Cyberpunk-Oz.
    Man ist per Telefon oder Terminal reingegangen, und dann war man
in einem chaotischen Durcheinander wie auf einer Freeway-Kreuzung in
Tokio, wo alle Verkehrsschilder nur mit kanji-Zeichen beschriftet
sind – endlose Mengen unterschiedlicher Befehlsprotokolle und
proprietärer Passwörter, wahrhaftig ein El Dorado für
elektronische Betrüger und bezahlte Hacker, aber ein
entmutigendes Labyrinth für die verwirrten Massen.
    Virtuelle Realität war das nicht. Man hat auf einer Tastatur
rumgehackt und auf den Bildschirm geglotzt oder mit einer
Roboterstimme geredet, die schwachsinnige Software laufen hatte,
vielleicht sogar beides. Tolle Grafik, Quadro-Sound und interaktive
Werbespots, alles machte gleichzeitig einen Riesenradau, um die
Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und einem die Kohle aus der Tasche
zu ziehen.
    Und die Hardware-Höker versprachen einem ständig eine
schöne neue Welt des direkten Interface, in die man sich per
vollsensorischer Simulation so perfekt einstöpseln könnte,
daß das Board für alle praktischen Zwecke die primäre Realität werden würde, so viel besser
als die primitive echte Version, daß man auch gleich ganz
drinbleiben könnte.
    Natürlich ist da nichts draus geworden. Niemand hat je eine
anständige Geschmacks- oder Geruchs-Emulation entwickelt, und
die Kinästhetik ist nie über hochgejubelte vibrierende
Sofas rausgekommen. Und ohne all so was läßt dein
Körper nicht zu, daß du dich fühlst, als ob du
wirklich drin wärst.
    Selbst mit der Dreadcap hast du nur stereoskopische Rundumsicht in
Farbe und omniphonen Sound. Nicht daß ich mich beklagen will,
Mann, Bild und Ton von der Anderen Seite sind schon mehr als
genug.
    Auf dieser Seite der Grenze sind die Überreste der
sogenannten zivilisierten Welt nonstop in die Tausendundeine Nacht
der Unterhaltungswelt eingeklinkt, während das Wasser ihnen bis
zum Arsch steigt und die Treibhaussonne die Reste ihrer Gehirne
brät.
    Und die Entitäten auf der Anderen Seite behaupten auch

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