Deus X
nicht,
fröhliche Camper zu sein. Ihre Meatware-Schablonen verpflichten
sie zu einem ewigen Zustand der Glückseligkeit nach dem Tod, der
für das vergehende Fleisch wie der Himmel klingt, mit Zugriff
auf tausend Kanäle interaktiver Unterhaltung und alle
Datenbänke, die man sich reinziehen kann, aber wenn du erst mal
drin bist, nutzt sich das ziemlich schnell ab. Nur mit Bild und Ton,
ohne Geschmack, Geruch oder kinästhetisches Gefühl
gibt’s da kein richtiges Dort, noch nicht mal ein richtiges
›Dich‹, selbst wenn du dich in die interaktiven
Pornokanäle einstöpselst.
Wenn man die meisten da drin so reden hört, ist die Existenz
als Programm im Big Board, sofern man überhaupt existiert, ein
Dasein in endloser elektronischer Angst, ein blasser Abglanz von
Ich-Identität in einem Disneyworld-Limbus, einer Art
Vorhölle, wo der große Thrill darin besteht, sich eine
neue Methode auszudenken, sich selber mental so hinters Licht zu
führen, daß man sich wirklich für echt hält.
Und da war auch schon das Hauptmenü des Boards, der
übliche Kreis simpler animierter Icons, die für ihre
Environments warben – der nette Telefon-Phil, der
Börsenfuchs, nationale Führer oder wichtige Leute diverser
Hoheitsbereiche, der rotierende Globus der Nachrichten-Umgebung,
Gertie die Klatschtante, der Tanzbär der Unterhaltungs-Umgebung,
Sexy Sally – auf dem ebenen elektronischen Spielfeld der
Inhaltsangabe hier oben waren keine Programme auf
Expertensystem-Ebene erlaubt.
Als das De-Leone-Programm spurlos aus der Hardware verschwand, war
es im proprietären Kommunikationsnetz des Vatikans gelaufen,
nach Angaben Kardinal Silvers ein hermetisches Netzwerk, das sich
niemals ans Big Board ankoppelte, mit ultramodernen
Pinkerton-Programmen bewehrt war und Hackern nicht die geringste
Chance ließ.
Na klar. So was wie ein hermetisches Kommunikationsnetz
gibt’s natürlich in Wirklichkeit nicht. Wenn die Terminals
nicht per Telefonleitung kommunizieren, dann über
Satellitenverbindungen, und überall dort, wo ein Relaissystem
ist, gibt es vielfache Zugriffsmöglichkeiten auf Entitäten
auf der Ebene von Expertensystemen, die für Manipulationen durch
höherrangige Programme empfänglich sind.
Es war zwar denkbar, daß irgendein Mensch De Leones Software
geklaut hatte, aber selbst wenn auf der Download-Seite die pure
menschliche Perversion im Spiel war, hätte sich der betreffende
Perverse mit einer noch perverseren Entität verschwören
müssen, um an den Pinkertons des Vatikans vorbeizukommen.
De Leones Nachfolger-Entität hätte mit Hilfe eines
Bewohners der Anderen Seite rausgeholt werden müssen – das
heißt natürlich, wenn sie nicht einfach von eben jenem
gelöscht worden war.
Ich mußte auf eine Ebene kommen, auf der ich mit einer
Entität sprechen und sie dazu bewegen konnte, mich tiefer mit
reinzunehmen, unter oder – wenn dir das lieber ist –
über die Ebene des freien menschlichen Zugangs, wo die Tat auf
jeden Fall geschehen sein mußte.
Ich zeigte auf das Icon für die Himmelspforte – ein
dekoratives griechisches Tempeltor, hinter dem gezeichnete Engel
herumflogen –, schnippte in meinem rechten Handschuh mit den
Fingern und war da.
Jenseits des Icons lag ein stilisierter grüner Hang unter
einem falschen, stumpf-blauen Himmel, von der sirupartigen
Harfenmusik hätte man einen Insulinschock bekommen können,
und das Himmelstor sah wie ein billiges Plastikteil aus –
für die dort Ansässigen ein transkorporealer Scherz in Form
einer schäbigen Menü-Umgebung fürs Interface zu den
lieben Verstorbenen. Im Tor war ein Mischmasch rosaweißer
Wolken zu sehen, die immer wieder zu Pixeln zerfielen, wobei die
Auflösung nicht höher war als 400 mal 280.
Am Anfang, als sie das Big Board mit niedlichen
Zeichentricktierchen, Lieblingsonkel-Sims und lizenzierten Bildern
von toten Medienstars, die einen am Ellbogen faßten und
durchführten, für den dummen Benutzer freundlich zu
gestalten versucht hatten, war die Software dahinter debiles
Expertensystem-Zeug gewesen, lauter geschlossene Schleifen mit
begrenztem Repertoire.
Doch als die Händler mit Konzernsprecherprogrammen,
Verkäuferpersönlichkeiten, freundlichen, als Füchse
aufgemachten Börsenmaklern gleich um die Ecke sowie witzigen
Kredithaien mit riesigen Zeichentrickzähnen aufkreuzten, wurde
was Raffinierteres benötigt. Die Programme mußten
zielorientiert und halbautonom sein und mit Menschen auf subtileren
Ebenen interagieren können –
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