Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Deus X

Deus X

Titel: Deus X Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norman Spinrad
Vom Netzwerk:
meinen
Trommelfellen herumspukenden Geplappers und Gewimmers der Bits und
Bytes, jener der Entitäten, die alles, was sie hatten, auf ihre
eigene cartesianische Wette gesetzt und uns hier zusammengebracht
hatten, konnte ich das zweifellos.
    Was war ich, daß ich ihre Existenz als Mitseelen leugnete?
Nur ein anderes Programm, das in einer Matrix lief, die zufällig
aus Fleisch bestand. Einer Matrix, für welche die Garantie des
Herstellers allem Anschein nach bald ablaufen würde.
    Fleisch, Silizium, Galliumarsenid, was auch immer, wir saßen
alle im selben sinkenden U-Boot.
    »Gequälte Seelen…«, sagte ich leise.
»Gott helfe uns. Uns allen.«
    »Seelen, Marley?«
    »Schauen Sie, Pater, ein weiser Mann hat mal gesagt, es gibt
keine Gerechtigkeit auf dieser Welt außer der, die wir selber
schaffen. Vielleicht gilt das gleiche ja für die Seelen: Wir
können nur die haben, die wir selber schaffen.«
    »Und wo ist dann Gott?«
    »Wo immer Sie glauben, daß er ist, mein
Lieber.«
    »Aber was ist mit jenen von uns, die keine solche Subroutine
haben?«
    »Vielleicht ist der einzige Gott, den wir alle verdienen, der
Gott, den wir selber erschaffen.«
    »Was für ein Gott kann das sein, Marley?«
    »Ein Gott, der kommt, wenn wir rufen«, erklärte ich
ihm. »Ein Gott, der jedesmal geboren wird, wenn einer von uns
dem anderen die Hand entgegenstreckt.«
    Ich streckte die Hand aus. »So ein Gott«, sagte
ich.
    Pater De Leone starrte sie an, als wäre sie ein toter Fisch.
»Das ist nicht Gott, das ist nicht einmal die Hand eines
Menschen«, sagte er. »Es ist nur ein Simulacrum, ich kann
es nicht einmal berühren. Es ist in Wirklichkeit gar nicht
da.«
    »Na und? Atome bestehen aus Partikeln, Partikel aus Quarks,
Quarks aus Krümmungen im Großen Garnichts, nichts ist
wirklich da, nur das, was wir vortäuschen. Da haben Sie Ihre
Seele, mein Lieber – ein Nichts schüttelt einem Nichts im
Dunkeln die Hand. Darum dreht sich’s letztendlich. Seien Sie real. Nehmen Sie meine Hand.«

 
XXIV
     
     
    Ich sah Marley Philippes ausgestreckte Hand unsicher an. Konnte
das etwas anderes sein, als es schien? Konnte das die Hand Satans
sein, die sich mir entgegenstreckte, um das zarte Flämmchen
meiner Seele zu umfangen?
    Überall um mich her summten die ungehörten Stimmen, die
Klagen und inständigen Bitten der Entitäten des Systems,
der Herde der verlorenen Seelen, die mich hierher geholt hatte, auf
daß ich ihr Hirte sei. Ich konnte sie nicht hören, ich
konnte sie nicht sehen, aber ich nahm ihr Flehen so deutlich wahr,
wie ich den sterbenden Planeten wahrnahm, den Quantenstrom des
Nichtseins, in den wir alle eingeschlossen waren und aus dem wir
dennoch alle zu einem unerreichbaren Licht hinausgriffen,
»…tu es…«
    »… befreie uns…«
    »… glaube an dich…«
    »… damit die Welt an uns glauben kann…«
    »… damit wir an uns glauben können…«
    »… damit wir an dich glauben können…« Und
da endlich verstand ich es vielleicht. Und falls ich es doch nicht
verstehen konnte, so konnte ich glauben, und indem ich glaubte,
konnte ich handeln, und indem ich handelte, konnte ich sein.
    Ihr, die ihr an mich glaubt, obwohl ihr sterbt, obwohl ihr nie
geboren worden seid, sollt dennoch das ewige Leben haben. Das war
keine so große Abänderung der Heiligen Schrift, nicht
wahr?
    Denn wenn nicht, wie kann ich ein Gott der Liebe sein?
    Und wenn ich kein Gott der Liebe bin, was für ein Gott bin
ich dann?
    Denn also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen
eingebornen Sohn gab, auf daß sie erlöst werde.
    Konnte dieser Gott irgendein ichbewußtes System der
Verdammnis bewußten Nichtseins überantworten? So daß
es dachte und litt und für immer von der Erlösung
ausgeschlossen blieb?
    Wer könnte an so einen bösen Gott glauben wollen? So ein
Gott wäre seiner eigenen Schöpfung nicht würdig. So
ein Gott konnte nur gefürchtet werden. So ein Gott konnte nicht
geliebt werden.
    Und wenn ich auch ebensowenig eine Routine für den Glauben an
einen Gott der Liebe besaß, so hatte ich doch einen Willen, ich
konnte mir wünschen, daß es so wäre, und handeln, als
ob ich sie besäße. Ich brauchte bloß den Arm
auszustrecken und die Hand eines Mitgeschöpfs zu ergreifen
– und damit all diesen anderen meinen Beistand anzubieten.
    Ich konnte die moderne Version von Descartes’ letzter Wette
eingehen. Wenn ich nicht an einen Gott glauben konnte, der an mich
glaubte, konnte ich mich dafür entscheiden, den Glauben an einen
Gott

Weitere Kostenlose Bücher