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Deutschboden

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Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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Hosenträger (T-Shirt-Spruch: »Ich bin hier der Chef, hier kann jeder meine Meinung sagen«), ein dünnerer Mann, der Mann, der mir im Schützenverein das Schießen vorgeführt hatte, eine Frau mit einer lila gefärbten Haarsträhne, die ihren Schäferhund unter dem Tisch kraulte. Ein Mann aus Recklinghausen war auch da, Blocky hatte ihn vor 19 Jahren im Tunesien-Urlaub kennengelernt.
    Hamburger. Spareribs. Radeberger Pils. Tropical Garden, ein Sekt mit Pfirsichgeschmack. Polnischer Likör, russischer Wodka. Auf dem Tisch stand außerdem der Abguss eines weißen Busens mit rosafarbenen Nippeln: Sparschwein. Das Schwein trug die Aufschrift »Feten-Kasse«. Der Geruch von Gras und warmer Frühsommerluft. Blockys Musikrekorder aus DDR – Zeiten spielte Foreigner.
    Blocky sagte sein Lieblingswort »unglaubbar«.
    Der Kumpel aus Recklinghausen zeigte auf Blocky: Das, so der Kumpel, sei gelebte Einheit.
    Auf Nachfrage erklärte der Hausherr noch einmal seinen Grill: Gasgrill mit Lavasteinen. Die Vollprofi-Variante. Mit Edelstahlrost. Die Lavasteine, so Blocky, konnten nicht weiß werden, weil Lavasteine, anders als Kohlen, nicht brannten und deshalb nie weiß würden.
    Klar, dass Blocky, der Partycrack, so einen Grillabend nicht vorbeiziehen lassen konnte, ohne sich eine richtige Zeremonie auszudenken.
    Es dämmerte, als die Runde sich in einem Halbkreis um die Deutschlandfahne herum aufstellte: ganz hinten, am Ende der Grünfläche, am Maschendrahtzaun. Der Mann vom Schützenverein hatte eine Schwarzpulverkanone auf Rädern mitgebracht. Die Deutschlandfahne, so Blocky, hatte er bei Netto im Angebot geschossen: poliertes Aluminium. 15,90 statt 22,90. Einer machte Witze, weil Blocky das Fundament des Mastes mit zu viel Beton aufgefüllt hatte.
    Blocky holte die schwarz-rot-goldene Fahne ein und zog eine neue schwarz-rot-goldene Fahne am Mast hoch. Der Hausherr sprach das feierliche Geleit: »Auf meinen Garten. Unser schönes Vaterland. Und darauf, dass immer Bier im Kühlschrank ist.« Gelächter. Freude. Applaus. Der Sohn des Tierarztes trat hervor und blies Muss i denn zum Städtele hinaus auf der Trompete. Der Mann vom Schützenverein steckte die Zündschnur der Kanone in Brand, es bumste. Noch mal Applaus. Die Runde schritt zurück zum Grill. Während wir die Fahne gehisst hatten, waren auf dem Grill, kein Witz, die Spareribs verbrannt.
    Um 21 Uhr gingen in Blockys Haus die Rollläden herunter: vollautomatische Einrichtung. Dann kamen die Mücken.
     
    Der Reporter wollte nun vom Hausherrn wissen, was das zu bedeuten hatte, dass eine schwarz-rot-goldene Fahne durch eine neue schwarz-rot-goldene Fahne ersetzt worden war. Blocky: »Ich erkläre dir das ganz genau. Die neue Fahne ist gold. Die alte Fahne, die es bei Netto zum Mast dazu gab, war mehr gelb als gold. Und auf der neuen Fahne ist der Bundesadler drauf. Ich unterstütze Deutschland im Allgemeinen und die Bundesrepublik Deutschland im Besonderen – so, jetzt weißt du es ganz genau.«
    Es übernahm – weil es seit mindestens zehn Minuten kein sich anbietendes Gesprächsthema mehr gegeben hatte – Blocky einmal mehr die Initiative. Es war in seiner Erzählung von einem Mann älteren Semesters die Rede, der, so Blocky, damals, im Jahr 1939, vom Reichsarbeitsdienst gleich in die Wehrmacht übernommen worden war.
    Ah.
    Warum erzählte Blocky das?
    Ein bisschen wohl auch deshalb, weil Reichsarbeitsdienst und Wehrmacht beides Worte waren, die eindeutig in jene düsteren Jahre zwischen 1933 und 45 gehörten, also brenzlig waren, also, besonders wenn man eine Grillzange in der Hand hielt, Spaß machten, angesprochen zu werden.
     
    Und richtig: Ich hatte Blocky nach jener Schändung des jüdischen Friedhofs gefragt. Über jene Nacht hatte Blocky gesagt: »Weiß gar nicht, was da genau passiert ist. Vielleicht ein paar besoffene Kinder. Es geht relativ schnell, sich irgendein dummes Hemd anzuziehen und eine Parole zu schreien.« Von dieser richtigen, nicht dummen Bemerkung kommend, hatte Blocky sich erst warm, dann in eine Art Rage geredet. Es war eine Mit-der-Grillzange-in-der-Hand-mal-meine-Meinung-sagen-Rage, also vielleicht alles nur halb so wild und nicht ganz so furchtbar gemeint, wie es klang. Blocky:
    »Dass in Sachsenhausen auch dreitausend katholische Priester umgebracht wurden, weil sie von der Kanzelgegen Hitler gepredigt haben, daran erinnert heute kein Denkmal. Und dass im KZ auch Kinderschänder saßen, nicht nur Juden und politisch Verfolgte, das sagt

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