Deutschboden
heute auch niemand mehr.«
Ich, Reporter aus Berlin, musste nun etwas sagen. Das war ja auch gar nicht schwer. Ich hielt Blocky vor, dass man den Genozid, also den staatlich gelenkten Massenmord an den Juden nicht mit den Verbrechen von Sexualstraftätern im Dritten Reich vergleichen konnte. Ich sagte: »Das ist doch Quatsch.«
Und er, Mann am Grill, sagte sofort: »Hast ja recht, hast ja recht, meine intellektuelle Heiligkeit.« Und er fügte hinzu: »Niemand will hier die Verbrechen der Nazis relativieren.«
Dann machte Blocky schnell noch einen Witz, denn Witze waren immer gut: »Shalom heißt Friede, oder? Und was heißt el Shalom? Elfriede.«
Ja, fanden wir lustig.
Recht haben war, das verstand der Reporter – vor allem wenn man so eindeutig und moralisch im Recht war –, auch eine schwer wegzusteckende, irgendwie eine scheußliche Sache: Es fühlte sich, besonders für den, der im Recht war, wie eine Mickrigkeit, wie eine Niederlage an.
Später, in einem anderen Zusammenhang, in dem es inhaltlich nicht gerechtfertigt war, schnauzte Blocky den Reporter dann noch einmal heftig vor versammelter Runde an: »Warum willst du das denn alles wissen? Hast du eine Vollmacke oder was?« Natürlich war ich Blocky dankbar. Er hatte, eben weil er etwas von Menschen und von Kommunikation – der Kommunikation unter Menschen, die um einen Gasgrill herum standen – verstand, das Gleichgewicht zwischen uns wieder hergestellt: sein Rumschnauzen gegen meine Maßregelung. Damit war ich einverstanden. So, fand ich, konnte man miteinander umgehen.
Man saß dann noch eine Weile so da. Und trank noch einen.
Blocky schlug vor, ich solle mal einen Eimer voll Kirschen bei ihm pflücken kommen und den Eimer mit nach Berlin nehmen: Kirschen habe er genug. Ich fand das einen netten Einfall. Dann schlug Blocky vor, ich solle ihn zum Konzert der Band Hasenscheiße nach Bergsdorf begleiten. Die Jungs von Hasenscheiße seien lustig, von ihnen stamme das Stimmungslied Ick bin der Bernd und steh am Grill, das sei der Griller-Song schlechthin, die Ode aller Griller. Die Frau mit der lila Haarlocke nahm die Hand aus ihrem Schäferhund und sagte: »Ich hole jetzt meinen Kampfhund.« Wenig später tauchte sie mit einem zweiten, ebenso lieben und müden Schäferhund auf. Blocky, am runden Tisch unter dem Dach seiner Blockhütte sitzend, riss einen echten Blocky-Witz: »Hier herrscht die Diktatur des Blockytariats.« Und, gleich noch einen Witz hinterher: Was ist der Unterschied zwischen einem runden Tisch und einer alten Jungfrau? »An einen runden Tisch gehen mehr ran.«
Zum Abschied schlug Blocky vor, dass man sich am Samstagabend ja mal am Sportplatz treffen könne: »Schön draußen auf der Terrasse sitzen. Auf den Rasen gucken. Neuer Wirt. Kleine Karte. Freundschaftspreise. Schnitzelbrot 4,50 Euro. Der halbe Liter Bit für einen Zweier. Da kannst du nichts sagen.«
Da konntest du wirklich nichts sagen. Blocky hatte mir, dem Reporter, Fremden, Ortsunkundigen, einen astreinen Abend bereiten wollen, das war das Nette – und darin lag die Anstrengung, die wir beide gespürt hatten.
Danke, Blocky. Das war ein guter Abend gewesen. Wir reden weiter miteinander. Das mit uns beiden funktioniert. Prost.
Ruhe war schwierig.
Erholung war ganz schwierig.
Und natürlich war es schwierig, in der Kleinstadt zur Ruhe zu kommen, schwieriger jedenfalls, als mit vier grandiosen Punks in der Kneipe zu stehen und so lange große Biere in sich hineinzuschütten, bis es knallte.
Ich saß drei, vier Stunden lang oben auf meinem Zimmer im Haus Heimat und tat nichts. Ich setzte mich an den Tisch, legte den Olympus-Stift neben den Computer, und dann tippte ich, Kopfhörer in den Ohren, das Gequatsche in den Computer, mein Gequatsche und das Gequatsche der Jungs. Es dauerte Stunden. Die Datei, die rasch auf viele Seiten wuchs, nannte ich O-Ton Oberhavel .
Ich saß auf dem Bett und guckte auf das Fenster, das in der Hausfassade gegenüber zwischen den Plastikplatten lag. Durch die Socken konnte ich den Polyesterteppichboden spüren. Es fühlte sich nach tausend Jahren Polyester an. Das war vielleicht ein Scheißteppich. Und das war vielleicht ein Scheißfenster, das da in der Hauswand gegenüber lag: kein Fenster, ein viereckiges Loch. Es tat sich nichts dahinter. Es hingen diese hundsgemeinen Sichtschutzvorhänge davor. Das Loch, vor dem die weißen Sichtschutzvorhänge hingen, starrte mich an wieein totes, fertiges, gemeines, ganz und gar
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