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Deutschland 2.0

Titel: Deutschland 2.0 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Christian Malzahn
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Jahrhundert zuvor oft genug vermisst hatte. Die offizielle Politik allein hätte diese gewaltigen Veränderungen niemals zuwege
     gebracht. Dass der Einzelne zu Großem beisteuern kann, ist wohl die wichtigste Erfahrung der friedlichen Revolution. Diese
     zum Schluss massenhafte Erfahrung des Kampfes für die Freiheit gerät heute mehr und mehr in Vergessenheit.
    Dabei ist der Zustand der deutschen Einheit besser als sein Ruf. Dennoch hört man oft, die Wiedervereinigung sei gescheitert.
     Diejenigen, die das erklären, waren sich vor zwanzig Jahren übrigens auch ganz sicher, die Wiedervereinigung sei eine Lebenslüge.
     Schon in den neunziger Jahren brachte die soziologische Feldforschung im Osten andere Ergebnisse zutage als die öffentliche
     Medienmeinung glauben machte. Achtzig bis neunzig Prozent der Ostdeutschen waren mit ihrer persönlichen Situation meist zufrieden
     oder sehr zufrieden und hielten sie für eineklare Verbesserung gegenüber ihrem Leben in der DDR.   Die allgemeine politische und wirtschaftliche Situation hielten dieselben Leute dagegen für bedenklich bis gefährlich. In
     der DDR gab es also eine Schere im Kopf, im neuen Deutschland klafften die individuelle und die öffentliche Wahrnehmung auseinander.
     Das erklärt vielleicht auch, warum die DDR heute oft »gefährlich verharmlost« wird, wie die ehemalige Bürgerrechtlerin Marianne
     Birthler immer wieder betont. Nicht nur diese scharfsinnige Analytikerin deutsch-deutscher Befindlichkeiten beklagt ein merkwürdiges
     Phänomen: Je länger der von Walter Ulbricht gegründete und von Erich Honecker gegen die Wand gefahrene Staat zurückliegt,
     desto stärker scheinen im Bewusstsein vieler Deutscher jene Verzweiflung und jenes Aufbegehren des Sommers 1989 verdrängt
     zu werden. Wer sich nicht angelegt habe mit den Mächtigen, der hätte in der DDR doch ganz gut leben können, summt heute der
     Stammtisch. Die Melodie dazu hat die PDS komponiert.
    Das Ziel totalitärer Herrschaft ist selten der permanente Bürgerkrieg, sondern der willfährige Untertan. Wer im August 1989
     aber auf dem Ost-Berliner Alexanderplatz mit Zitaten von Rosa Luxemburg für mehr Offenheit im realen Sozialismus demonstrierte,
     der wurde nicht etwa zur Diskussion gebeten, sondern in den Knast geschickt. Die Frage, ob das SE D-Regime sich dem Druck des Volkes auch mit massivem militärischem Einsatz widersetzen würde, war im Sommer 1989 unter den Genossen
     keineswegs zugunsten eines geordneten Rückzugs entschieden. Zunächst setzte die SED auch im Herbst noch auf den Schlagstock.
     Zum runden Tisch luden die Genossen erst, als feststand, dass die DDR politisch und wirtschaftlich nicht mehr zu retten war.
    Es gibt keinen Grund, sich das neue Deutschland schöner zu reden, als es ist. Die Arbeitslosigkeit im Osten ist hoch – nicht
     wegen verbreiteter Faulheit, sondern weil es zu wenig Industriezonen gibt. Die Land- und Stadtflucht gen Westen ist deshalbnicht gestoppt, der Milliardentransfer in die Kassen der ostdeutschen Länder wird dauern. Während in Westdeutschland lediglich
     regionale wirtschaftliche Problemzonen wie im Ruhrgebiet, der Oberpfalz und Ostfriesland existieren, ist Ostdeutschland insgesamt
     noch immer eine fragile ökonomische Zone, aus der nur ein paar positive Standorte herauszuragen scheinen wie Leipzig, Dresden,
     Jena, Weimar oder die touristischen Zentren an der Ostseeküste.
    Aber wen wundert das? Die DDR stand seit 1988 vor der Zahlungsunfähigkeit. Wäre sie ein Unternehmen gewesen, hätte sie Bankrott
     anmelden müssen. Stattdessen wurde die DDR faktisch vom Westen übernommen. Der bisherige Vereinigungsverlauf zielte bisher
     vor allem auf die Herstellung demokratischer, republikanischer Verhältnisse in den neuen Ländern – und auf die Entwicklung
     einer tragfähigen wirtschaftlichen Grundlage. Dieser Prozess ist noch im Gange. Aber verglichen mit der postsozialistischen
     Entwicklung ehemaliger RGW-(Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe)-Staaten wie Polen, Bulgarien oder Rumänien steht die ehemalige
     DDR inzwischen tatsächlich da, wo Honecker sie immer haben wollte: an der Weltspitze nämlich – und das trotz einer kontinuierlichen
     Abwanderungs- und Fluchtbewegung, die 1945 mit dem Auftauchen der Roten Armee einsetzte und die bis heute nicht abgerissen
     ist.
    Über die Lebenswirklichkeit im Osten Deutschlands wird heute vor allem mit den Füßen abgestimmt. Wir erleben in manchen Gegenden
     eine Migration im

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