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Deutschland macht dicht (German Edition)

Deutschland macht dicht (German Edition)

Titel: Deutschland macht dicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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diffundiert, und der sah sich nun mit einem Scheingedächtnis gestraft, das ihn nicht als Mahlzeit, sondern treuen Kampfgefährten seines verschwundenen Eigentümers erinnerte. Hops!
    Hilde Pinguin ergab sich in ihr Schicksal. Sie schlug die Augen auf. Als sie sah, was vor ihr stand, mußte sie trotzdem kichern. »Wie denn? Ein Käse mit Beinen!«
    »Man lache nicht«, sagte der Käse streng.
    »Verzeihung.«
    »Ich bin ein Kamikäse. Ich werbe nun Gefolgschaft an, tapfere Märtyrerinnen und Märtyrer, welche gleich mir ...«
    »Ein was?«
    »Ein Kamikäse. Das Wort ist abgeleitet von Kamikaze und soll ...«
    »Das ist japanisch.«
    »Ja.«
    »Ich dachte, du ... Sie ... wären für Mullahs, Araber und Muslimisches?«
    »Papperlapimpel!« schnaubte der Kamikäse. »Japanisch, muslimisch ... alles eins, solange der Eid bindet: Ich verachte den Westen und seine arrogante Vernumpf.«
    »Seine ... Ver...?«
    »Seine Vernumpf. Die westliche, ungläubige Vernumpf, die nur zu Zügellosigkeit und Verzweiflung führt.«
    »Ach so. Vernunft!« ging Hilde Pinguin ein Licht auf.
    »Pocken und Pest«, quäkte der Kamikäse, »verfluchte westliche Vernumpf!«
    Die Dynamitstangen in den Käselöchern leuchteten feuerrot. Es gab keinen Anlaß, sich zu entspannen.
    Die Millionärin fragte: »Wirst du mich jetzt sprengen?«
    »Warum sollte ich?« erwiderte der Käse voll Verachtung. »Reiche Heidin, gemästete Sau, die durch Raffen und Unzucht teil am Übel hat! Und doch gehörst du nicht selbst zum Heer des Großen Satans.«
    »Vielen Dank«, sagte Cleas Mutter; es schien das Richtige.
    »Nein! Sprengen, das reicht nicht. Das taugt nicht. Du erhältst Gelegenheit, zu bereuen! Du darfst dich bewähren! Du wirst mir folgen! Wir werden an den Hof des Großen Satans gehen, der geglaubt hat, er könne sein Reich vor der Strafe verrammeln, sich vor dem Auge des Allbarmherzigen, des Allmächtigen verstecken! Wir werden vor den Thron des Großen Satans treten und ihn herunterzerren und Strafgericht halten!«
    »Ja, gut. Okay.«
    »Denn die Vernumpf kommt von der Aufklärung, aber die Aufklärung kommt von den Juden, und die sind der Zionismus, und der ist verflucht und zugenäht!« erregte sich der Käse, während hinter ihm, am unteren Treppenabsatz, etwas verschwommen leuchtend lockte, das Hilde Pinguins Blick ablenkte.
    »Fein. Zionismus ...«, wiederholte sie geistesabwesend. Der Kamikäse stampfte mit dem rechten Fuß auf und schrie: »Vom Glauben zur Revolution! Dschihad! Martyrium!«
    »Mhmhm«, summte Frau Pinguin. Das Lockleuchten unten war wirklich sehr schön.
    »Was glotzt du?« brüllte der Käse.
    »Ich ... weiß nicht ... da ist ...«
    »Da ist gar nichts!« drohte der Käse, spuckte auf den Boden und zeterte: »Ich zitiere, merke auf, Fouad Allam, einen hervorragenden algerischen Wissenschaftler, der die Krise eurer verhurten Vernumpf vollständig verstanden hat und weiß, was der Islam vollbringen kann und muß, und daß man das nicht so einseitig sehen kann mit dem Selbstmordattentat: ›In der gegenwärtigen Welt‹, zitiere ich, ›ist der freiwillige Selbstmord des Kamikaze im Kontext eines politischen Konflikts auch das Resultat einer globalen kulturellen Wandlung, die sich aus der Vermischung unterschiedlicher historischer und kultureller Erfahrungen und aus der Dekontextualisierung von jahrtausendealten Praktiken und Gewohnheiten ergibt. Das Phänomen muß im Rahmen der wachsenden Heterogenität der Kulturen, der Pluralität der Bedeutungen, aber auch der Schwächung der kulturellen Bezüge, ihrer Verdunkelung oder Auslöschung aus dem kollektiven Gedächtnis interpretiert werden. Parallel zum Schwinden der Sicherheiten vervielfachen sich Formen und Haltungen, die darauf abzielen, die gähnende Leere zu füllen: Es ist dies eine weitere Lesart des Multikulturalismus.‹ Merk’s! Schmeck’s! Glaub’s!«
    »Du redest«, sagte Hilde Pinguin verträumt, ohne den Kamikäse anzusehen – dieses Licht dort erinnerte sie an die Martinslaternen ihrer Kindheit, an bunte Kirchenfenster – »fast wie der ... arme Professor ... Kilian ... komischer ... Terroristenkäse bist du ...«
    Sie schloß den Mund nicht wieder, als sie mit dem Sprechen fertig war.
    Ihr gewöhnliches Körperempfinden wich einer molluskenhaft gefühligen Wärme, einem nahezu friedlichen Versunkensein in nichts Gescheites noch Bestimmtes.
    Sie hätte ewig dort hinschauen können.
    »Welcher Professor?« fragte der Käse laut und ungnädig.
    Hilde Pinguin

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