Deutschland umsonst
schön, daß Sie hier sind. Ich darf Sie erst mal vorstellen (ein Gong ertönt, und auf dem Bildschirm wird das Wort »Fährmann« eingeblendet). Jetzt sind Sie bitte so freundlich und machen noch eine Handbewegung, nicht zu verräterisch. (Herr Weber greift in die Luft und tut so, als zöge er an einem Seil.) Ja, sehr schön so. Und welches von den Schweinderln darf ich Ihnen geben?
Weber : Das blaue, bitte.
Lembke : Aha, das blaue. So, jetzt geht’s an beim Guido.
Guido : Brauchten Sie eine bestimmte Ausbildung, um Ihren Beruf ausführen zu können?
Weber: Ja.
Guido : Ist das eine Hochschulausbildung?
Weber : Nein. (Das erste Fünfmarkstück klimpert in das Sparschwein.)
Marianne : Brauchen Sie zu Ihrem Beruf auch ein Talent? (Weber blickt den Quizmaster fragend an und nickt nach kurzem Zögern mit dem Kopf.)
Lembke : Ja, ja, ein Talent braucht’s dafür schon.
Marianne : Nach Ihrer Handbewegung zu urteilen, ist es ein schwerer körperlicher Beruf, den Sie da ausführen, gehe ich recht in dieser Annahme?
Weber: Ja.
Marianne : Ein Beruf, der also hauptsächlich von Männern ausgeführt wird?
Weber: Ja.
Marianne : Dann sind Sie also ein Maurer?
Weber : Nein, ein Maurer bin ich nicht. (Ein zweites Fünfmarkstück klimpert ins Sparschwein.)
Hans : Dann vielleicht ein Metzger?
Weber : Nein.
Und nach weiteren sieben Neins geht Weber mit fünfzig Mark im Sparschwein und einem Freilos der Fernsehlotterie aus dem Studio. Die Leute applaudieren.
Holzminden schläft noch halb, als ich mit dem Morgengrauen über den Weserdeich komme. Es war so feucht und kalt in den Uferwiesen, daß ich im Schein des verhangenen Vollmondes meine klammen Sachen gepackt habe, um mich wieder warmzulaufen. Aus dem großen Getreidesilo am Hafen, wohl dem höchsten Bau der Stadt, leuchtet eine nackte Glühbirne zwielichtig durch den Türspalt. Dort drinnen nehmen Hafenarbeiter ihre erste Flasche Bier, denke ich, und genauso ist es. Ich darf mich im Eck aufwärmen. Feldmann schmiegt sich an meine Füße, er hatte Eiskristalle auf dem Fell, als wir vorhin aufbrachen, und mir war es sogar zu kalt, gleich meine kurzen Hosen anzuziehen. Nachher im Internat, in den Büschen hinter der Sternwarte, kann ich das ja immer noch nachholen. Ich habe Lampenfieber.
»Gibt’s das Landschulheim noch ?« frage ich die stoppelbärtigen Männer. »Meinst du die da oben, am Wald? Ja, die gibt’s wohl noch«, sagt einer mißgelaunt. Er hat andere Sorgen in dieser Herrgottsfrühe. Die Bild-Zeitung, auf der seine Bierflasche steht, meldet: »Nonne erschlägt ihre Mutter mit Kreuz«.
Bevor ich mich zum Waldrand hochwage , feiere ich mein Wiedersehen mit dem Städtchen. Es hat sein Gesicht wenig verändert, trotz des monströsen Kaufhauskastens, der vierstöckig in das Zentrum eingeschlagen ist wie eine Bombe. Tabak-Hoffmeister und Schuh-Schwake daneben stehen noch, auch das Süßigkeitengeschäft hat überlebt, und im italienischen Eisladen hängt nach wie vor die bunte Phototapete von den Südtiroler Alpen, vor der es sich so schön in die Ferne träumen ließ. Im Union-Theater sah ich meinen ersten Film ab 16, eine Frau tanzte halbnackt vor lauter geilen Männern auf dem Kneipentresen, und draußen stand am Schluß der Vorstellung mein Religionslehrer mit einem Notizbuch, in dem er festhielt, wer unerlaubt im Kino war. Mit drei Stunden Kohlenschippen war die Sünde in der Regel abgebüßt, die Bilder von der Tänzerin aber sind unauslöschlich in meinem Kopf geblieben; der Handel lohnte also. Heute wird der Lehrer, wenn er nicht längst pensioniert ist, sicher vor dem Sexshop Posten beziehen, der sich im Laden vom Friseur Wittweg einquartiert hat. Das Blumengeschäft ist inzwischen modernisiert worden, aber Kösel , der Kramladen für alles, hat seine Schaufensterdekoration aus der Zeit der Währungsreform immer noch nicht verändert: Miederwaren, Lampenschirme, Bäckerbekleidung und Werkzeugkästen liegen wie eh und je auf einem Haufen. » Kösel hat’s«, da komme, was da wolle. Bestimmt sind auch noch die Luftballons auf ihrem Platz in der Spielwarenabteilung — der Gedanke an sie treibt mir heute noch den Pulsschlag in die Höhe. Ein Blick über die Schulter, ob niemand guckt, ein Griff in den bunten Karton, und gut fünfzig Ballons verschwinden in meiner Hosentasche. Nun nichts wie raus, aber bloß nicht zu schnell, die Angst sitzt im Nacken: Wer beim Diebstahl erwischt wird, fliegt von der Schule. Beim Betreten der Straße dann dieses
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