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Deutschland umsonst

Deutschland umsonst

Titel: Deutschland umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Holzach
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auch der Hund drängt sich eng an mich. Wie kommen wir hier jemals wieder heraus, wo ist der Weg zur Emscher?
    An einer Wand aus Ziegelsteinen stehen mit Kreide ein Name und eine Zahl geschrieben: »Schalke 04«. Also doch Menschen, doch nicht der Mars. Wo sind die Fußballfans? Schreien ist sinnlos, Ameisen werden hier nicht gehört. Ich gehe durch eine Unterführung. Orangenes Neonlicht färbt das Hundefell fuchsrot. An einer Kreuzung dann, endlich, wie vom Himmel gesandt, ein Radler. Im weißen Arbeitsanzug mit weißem Schutzhelm kommt er munter des Wegs, den Mund halb offen vor Erstaunen. »Wat dat denn«, brüllt er laut, aber freundlich in mein Ohr, » machste Urlaub bei Hoesch ?« Ich erkundige mich nach dem Ausgang, und er zeigt mir den Weg mit einer Handbewegung, die soviel sagt wie «immer geradeaus«. Irgendwann begegnet mir dann noch ein Arbeiter, der mit rotglühendem Kopf Wasser auf rotglühende Stahlplatten spritzt. Es ist so höllisch heiß in seiner Nähe, daß ich nur beiläufig mit dem Kopf nicke, ohne meinen Schritt zu verlangsamen.
    Aber sehr viel weiter komme ich nicht. Ein gelbes Auto jagt aus einer Querstraße und stellt sich in meinen Weg. Zwei grau-uniformierte Männer springen heraus. Sie tragen Armbinden mit der Aufschrift »Werkschutz«. Einer fordert meinen Ausweis, der andere lädt meinen Rucksack in den Kofferraum. Mit mir und Feldmann auf dem Rücksitz geht es so schnell, wie sie gekommen waren, ab durchs Gelände zum Pförtnerhäuschen am Ausgang. Dort stehen schon fünf weitere Werkschutzkollegen vor der Tür, Grau neben Grau, wie zum Empfang des Aufsichtsrats. Mein Personalausweis geht von Hand zu Hand. Ein Telefon klingelt. »Nein, alles in Ordnung, wir haben ihn .« Ich schildere meine Lage, erzähle von der Emscher, die ich hier vergeblich gesucht habe, und ernte erstaunte Blicke. So dummdreist scheint noch niemand das Hoeschgelände betreten zu haben, die Zaunlücke an der Emscher ist selbst den gewieftesten Einbrechern und Werkspionen noch nicht aufgefallen. Daß ich ausgerechnet aus Aplerbeck komme, wundert dann eigentlich niemanden mehr, »da gehen Sie mal besser gleich wieder hin«. Gelächter begleitet mich durchs Werktor.
    »An einem Tag habe ich die Sonne 43 x aufgehen sehen«, steht auf der Mauer am Bahndamm. Dahinter kommt meine Emscher wieder zum Vorschein. Das Flußbett ist nun erheblich breiter ausbetoniert als vorher, die Färbung des Wassers geht ins Rot- oder eher Kotbraune, und sie riecht deutlich stumpf und muffig, so wie feuchte Wäsche, die zu lange in der Waschmaschine lag. Der Geruch ändert sich mit jedem Zufluß, der links und rechts aus Rohren aller Kaliber mal wäßrigdünn, mal dickflüssig wie eine Mehlspeise in die Emscher geleitet wird. Im Stadtteil Barop riecht es plötzlich nach faulen Eiern, in Dorsfeld liegen ätzende Schwaden über der Wasseroberfläche, in Holthausen macht sich eine schwere Süße breit. Kein Fluß der Welt ist so abwechslungsreich in seiner Abscheulichkeit, keiner bietet bei aller monotoner Traurigkeit so viele Überraschungen. Da geht es auf glitschigen Stiegen durch dunkle Unterführungen, aus denen Feldmanns wildes Bellen Fledermausschwärme hochscheucht, da hängen tropisch anmutende Schlinggewächse wie ein grüner Vorhang von Eisenbahnbrücken herab, da liegt am Ufer, durchnäßt und halb verwittert, eine Urkunde, auf der zwei muskulöse Bergleute zu erkennen sind, die mit freiem Oberkörper Kohle aus dem Berg hauen, und darunter steht: »Für 25 Jahre treue Dienste HERRN HERMANN JONIGK. Gelsenkirchener Bergwerks-Aktien-Gesellschaft, Zeche Zollern II, den 2. 1…«, die Jahreszahl ist nicht mehr zu entziffern.
    Die eigentliche Überraschung an dieser Emscher-Wanderung aber ist, daß ich durch das dichtest besiedelte Gebiet Europas laufe und dabei kaum Menschen begegne. Nach dem Jüngsten Gericht, stelle ich mir vor, oder nach dem Inferno einer Atomkatastrophe muß es auf der entvölkerten Erde ähnlich aussehen wie hier und jetzt. Nur daß dann die Emscher wohl sehr bald wieder quellklar sein wird, Bussarde werden vom blauen Himmel herab die Kaninchenplage bekämpfen, auf dem dicht bewaldeten Betriebsgelände von Hoesch wird der Platzhirsch mit seinem Rudel im ersten Morgenlicht zwischen den schweigenden Fabrikruinen äsen, durch deren zerbrochene Fenster die Schwalben ein- und ausfliegen. Das Paradies auf Erden, denn der Mensch, der ärgste Feind der Natur, wird endlich verschwunden sein. » Dortmund-Huckarde « lese

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